Klauselkontrolle Reiseversicherung
Der OGH prüfte die Rechtswirksamkeit von 19 vom Versicherer in seinen Reiseversicherungsbedingungen verwendeten Klauseln, wovon er acht Klauseln für unzulässig erklärte.
Die Beklagte betreibt das Versicherungsgeschäft und schließt als Unternehmerin regelmäßig mit Verbrauchern Reiseversicherungsverträge ab. Diesen Vertragsabschlüssen legt die Beklagte die „E* Reiseversicherungsbedingungen *-RVB 2018 Auszug für den StornoSchutz“ (in der Folge RVB 2018) als Allgemeine Geschäftsbedingungen zugrunde.
Nachfolgend wird auf die unseres Erachtens wichtigsten Klauseln dieses Verbandsprozesses näher eingegangen:
Artikel 6.1.10. RVB 2018 – Behördliche Verfügungen
„Kein Versicherungsschutz besteht für Ereignisse, die […] aufgrund behördlicher Verfügungen hervorgerufen werden;“
In Art 6.1.11. RVB 2018 bleibt für den durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer völlig offen, welche „Ereignisse aufgrund behördlicher Verfügungen hervorgerufen“ werden und an wen diese „behördlichen Verfügungen“ adressiert sein müssen. Die Klausel ist daher § 6 Abs 3 KSchG unzulässig.
Artikel 6.1.11. RVB 2018 – Reiseversicherung: Ausschluss erhöhtes Unfallrisiko
„Kein Versicherungsschutz besteht für Ereignisse, die […] entstehen, wenn die versicherte Person einem erhöhten Unfallrisiko durch körperliche Arbeit, Arbeit mit Maschinen, Umgang mit ätzenden, giftigen, leicht entzündlichen, explosiven oder gesundheitsgefährdenden Stoffen sowie elektrischer oder thermischer Energie ausgesetzt ist (gilt nicht für Reisestorno).“
Aus diesem Wortlaut geht keineswegs eindeutig hervor, dass der Risikoausschluss nur bei auf Reisen untypischen Tätigkeiten verwirklicht werden soll. Bei der gebotenen kundenfeindlichsten Auslegung sind hingegen zahlreiche auf Reisen typische Tätigkeiten erfasst, da bei ihnen aufgrund einer der aufgezählten – weit gefassten – Ursachen ein erhöhtes Unfallrisiko besteht.
Da es keine sachliche Rechtfertigung für einen derart weit gefassten Risikoausschluss gibt, verstößt die Klausel gegen § 879 Abs 3 ABGB und ist daher unzulässig.
Art 6.1.19. RVB 2018 – Ausschluss Extremsportarten
„Kein Versicherungsschutz besteht für Ereignisse, die […] bei Ausübung einer Extremsportart auftreten (gilt nicht für Reisestorno)“
Der Begriff „Extremsportart“ hat einen ausreichend bestimmten Begriffsinhalt. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer versteht darunter Sportarten, die schon ihrer Art nach mit einer sehr hohen Gefahr für Leib und Leben verbunden sind (bswp Wingsuit Fliegen, Paragleiten, Apnoetauchen oder Free-Solo-Klettern). In diesen Fällen ist ein Risikoausschluss auch sachlich gerechtfertigt. Die Klausel ist daher zulässig.
Artikel 6.2. RVB 2018 – Ausschluss Sanktionen / Embargos
„Kein Versicherungsschutz besteht, soweit und solange diesem auf die Vertragsparteien direkt anwendbare Wirtschafts-, Handels- oder Finanzsanktionen bzw. Embargos der Europäischen Union oder der Republik Österreich entgegenstehen. Dies gilt auch für Wirtschafts-, Handels- oder Finanzsanktionen bzw. Embargos, die durch andere Länder erlassen werden, soweit dem nicht europäische oder österreichische Rechtsvorschriften entgegenstehen.“
Der durchschnittliche Versicherungsnehmer kann anhand dieser Klausel nicht ansatzweise gesichert einschätzen, wann und in welchem Umfang es zum Entfall des Versicherungsschutzes kommen könnte.
Zudem enthält der zweite Satz eine salvatorische Klausel. Der OGH hat zu solchen Klauseln (wie etwa „sofern nicht gesetzliche Bestimmungen entgegen stehen“, „soweit zulässig“ oder „sofern eine derartige Vereinbarung gesetzlich möglich ist“) bereits mehrfach ausgesprochen, dass es sich um (nachgeschobene) salvatorische Klauseln handle, die dem Verbraucher das Risiko aufbürden, die (teilweise) Rechtswidrigkeit der beanstandeten Regelung zu erkennen, und ihm daher ein unrichtiges Bild der Rechtslage vermitteln (vgl RS0122045 [T3]).
Die Klausel verstößt daher insgesamt gegen das Transparenzgebot und ist unzulässig.
Artikel 8.1. RVB 2018 – Fehlender Hinweis auf Folgen Obliegenheitsverletzung
„Als Obliegenheiten, deren Verletzung die Leistungsfreiheit des Versicherers gemäß § 6 VersVG bewirkt, werden bestimmt:‘
Ein bloßer Verweis auf § 6 Abs 3 VersVG ohne einen Hinweis, dass an anderer Stelle im Bedingungswerk die gesetzliche Bestimmung abgedruckt ist und warum der Versicherungsnehmer sich diese durchlesen sollte, entspricht dem Transparenzgebot des § 6 Abs 3 KSchG nicht. Die Klausel ist daher unzulässig.
Artikel 8.1.1. RVB 2018 – Allgemeine Schadenminderungspflicht
„Der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person haben: […] Versicherungsfälle nach Möglichkeit abzuwenden, den Schaden möglichst gering zu halten, unnötige Kosten zu vermeiden und dabei allfällige Weisungen des Versicherers zu befolgen;‚
Bei der Klausel handelt es sich um die Klarstellung der allgemeinen Schadensminderungsobliegenheit nach § 62 Abs 1 VersVG ohne eigenständige Bedeutung. Der Hinweis „unnötige Kosten zu vermeiden“ bezieht sich nicht auf den Rettungskostenersatz gemäß § 63 VersVG, sondern stellt klar, dass auch bei Verursachung unnötiger Kosten eine Verletzung der Schadensminderungsobliegenheit insofern vorliegen kann, als damit der Schaden nicht möglichst gering gehalten wird.
Die Klausel ist daher ausreichend bestimmt und verstößt auch nicht gegen § 879 Abs 1 ABGB. Sie ist daher zulässig.
Artikel 8.1.5. erster Halbsatz RVB 2018 – Schadenminderungspflicht – Sicherstellung Schadenersatzansprüche
„Der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person haben: […] Schadenersatzansprüche gegen Dritte form- und fristgerecht sicherzustellen […];“
Der Begriff „sicherstellen“ lässt im gegebenen Zusammenhang völlig offen, ob die Klausel bei kundenfeindlichster Interpretation dahin verstanden werden kann, dass der Versicherungsnehmer auf eigene Kosten Klagen bzw Beweissicherungsanträge einzubringen hat, um das Kriterium der form- und fristgerechten Sicherung zu erfüllen. Die Klausel ist daher intransparent iSd § 6 Abs 3 KSchG und verstößt gegen § 879 Abs 3 ABGB. Sie ist daher unzulässig.
Artikel 14.2. und Artikel 17.3 RVB 2018 – Reisestorno
„Ein Versicherungsfall liegt vor, wenn die versicherte Person aus einem der folgenden Gründe die Reise nicht antreten kann, eine gesondert gebuchte touristische Leistung während der Reise zur Gänze nicht nutzen kann […]“ [Artikel 14.2. RVB 2018]
„Der Versicherer ersetzt bis zur vereinbarten Versicherungssumme […] wenn eine gesondert gebuchte touristische Leistung während der Reise zur Gänze nicht genutzt werden kann, die vertraglich geschuldeten Stornokosten.“ [Art 17.3. RVB 2018]
Die Klauseln sind weder ungewöhnlich noch gröblich benachteiligend noch intransparent und daher zulässig.
Artikel 14.2.5. RVB 2018 – Reisestorno
„Ein Versicherungsfall liegt vor, wenn die versicherte Person aus einem der folgenden Gründe die Reise nicht antreten kann […] bedeutender Sachschaden am Eigentum der versicherten Person an ihrem Wohnsitz infolge Elementarereignis (Hochwasser, Sturm usw.), Feuer, Wasserrohrbruch oder Straftat eines Dritten, der ihre Anwesenheit dringend erforderlich macht;“
Die Klausel ist zulässig, da sie weder ungewöhnlich noch gröblich benachteiligend noch intransparent ist.
Artikel 16.3. RVB 2018 – Belegpflicht: Ärztliche Bestätigung
„Der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person haben […] bei Erkrankung oder Unfall unverzüglich eine entsprechende Bestätigung des behandelnden Arztes (bei Reiseabbruch vom Arzt vor Ort) ausstellen zu lassen;“
Gemäß § 34 Abs 2 VersVG kann der Versicherer Belege insoweit fordern, als die Beschaffung dem Versicherungsnehmer billigerweise zugemutet werden kann. Anders als § 34 Abs 2 VersVG enthält Art 16.3. RVB 2018 keine Einschränkung auf die Zumutbarkeit der Einholung des ärztlichen Attests, obwohl die unverzügliche Einholung einer ärztlichen Bestätigung, welche bei Reiseabbruch noch dazu durch einen Arzt vor Ort auszustellen ist, den Versicherungsnehmer im Ausland vor erhebliche Mühen und Schwierigkeiten stellen, im Extremfall sogar eine unüberwindbare Hürde darstellen kann.
Damit verstößt diese Klausel aber gegen § 34a VersVG, wonach sich der Versicherer auf eine Vereinbarung, die von (unter anderem) § 34 Abs 2 VersVG zum Nachteil des Versicherungsnehmers abweicht, nicht berufen kann und ist daher unzulässig.
Artikel 16.4. RVB 2018 – Belegpflicht bei Erkrankung oder Unfall
„Der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person haben […] unverzüglich folgende Unterlagen an den Versicherer zu senden:
– bei Erkrankung oder Unfall: Detailliertes ärztliches Attest/Unfallbericht (bei psychischen Erkrankungen durch Facharzt der Psychiatrie), Krankmeldung bei der Sozialversicherung und Bestätigung über verordnete Medikamente;“
Bei kundenfeindlichster Auslegung kann diese Klausel dahin verstanden werden, dass der Versicherungsnehmer erst einen entsprechenden (Fach-)Arzt aufsuchen müsste, um von diesem ein detailliertes Attest oder einen Unfallbericht zu erhalten, den er dann dem Versicherer übermitteln könnte. Die Klausel ist keineswegs so zu verstehen, dass diese auf bereits vorhandene Atteste/Unfallberichte beschränkt ist. Ebenso enthält die Klausel keine Einschränkung in Bezug auf die Zumutbarkeit der Belegbeschaffung.
Damit verstößt diese Klausel gegen § 34a VersVG, wonach sich der Versicherer auf eine Vereinbarung, die von (unter anderem) § 34 Abs 2 VersVG zum Nachteil des Versicherungsnehmers abweicht, nicht berufen kann und ist daher unzulässig.
Artikel 16.5. RVB 2018 – Untersuchungspflicht
„Der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person haben […] sich auf Verlangen des Versicherers durch die vom Versicherer bezeichneten Ärzte untersuchen zu lassen.“
Bei der gebotenen kundenfeindlichsten Auslegung erlaubt es Art 16.5. RVB 2018 der Beklagten – unabhängig von einem begründeten Missbrauchsverdacht oder sonstiger berechtigter Gründe – die Untersuchung durch die vom Versicherer bezeichneten Ärzte vornehmen zu lassen. Eine derartige Klausel ist bei einer Reisestorno- und Reiseabbruchversicherung unüblich. Auf sie wird auch nicht besonders hingewiesen, sondern sie befindet sich im Fließtext unter der Überschrift „Was ist zur Wahrung des Versicherungsschutzes zu beachten (Obliegenheiten)?“, sodass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer vernünftigerweise nicht damit zu rechnen braucht. Überdies ist diese Regelung – unabhängig von der Frage der Kostentragung – für den Versicherungsnehmer zweifellos nachteilig, stünde er doch ohne die Klausel besser da. Die Klausel ist daher gemäß § 864a ABGB unzulässig.
Blog-Beitrag gemeinsam erstellt mit Julia Loisl.