Deckungsabgrenzungsausschluss bei Rechtsschutz-Bausteinen
Der jeweilige Deckungsabgrenzungsausschluss greift nur dann, wenn das betroffene Risiko nach der positiven Deckungsbeschreibung des anderen Bausteins, dem die Deckung durch Querverweis zugewiesen wurde, grundsätzlich versicherbar ist.
Sachverhalt
Die Klägerin erwarb mit Kaufvertrag vom 12. 9. 2019 von einem Privaten den Gebrauchtwagen Audi A3 Quattro Sportback (Erstzulassung am 21. 7. 2017). Der VN begehrte Versicherungsschutz für Schadenersatzforderungen gegen den Hersteller aus dem behaupteten Einbau einer abgasmanipulierten Software (Abgasskandal).
Die beklagte Rechtsschutzversicherer lehnte die Deckung mit der Begründung ab, dass der Sachverhalt weder unter den Schadenersatz-Rechtsschutz nach Art 17.2.1 ARB noch unter den Fahrzeug-Vertrags-Rechtsschutz nach Art 17.2.4 zu subsumieren sei. Auch eine Deckung gemäß Art 19 schloss sie unter Hinweis auf Art 19.3.1.1 ARB aus.
Relevante Bestimmungen der ARB
Art 17 Schadenersatz-, Straf- und Führerschein-Rechtsschutz für Fahrzeuge (Fahrzeug-Rechtsschutz) je nach Vereinbarung mit oder ohne Fahrzeug-Vertrags-Rechtsschutz
2. Was ist versichert?
Der Versicherungsschutz umfasst
2.1 Schadenersatz-Rechtsschutz
für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts wegen erlittener Personen-, Sach- oder Vermögensschäden, soweit diese aus der bestimmungsgemäßen Verwendung des versicherten Fahrzeuges entstehen.
2.1.1 Kein Versicherungsschutz besteht für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen wegen reiner Vermögensschäden, die aus der Verletzung gesetzlicher oder vertraglicher Pflichten zwischen Vertragspartnern oder aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten entstehen (versicherbar gemäß Punkt 2.4.).
2.4 Fahrzeug-Vertrags-Rechtsschutz
Wenn vereinbart, umfasst der Versicherungsschutz auch die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen, die versicherte Fahrzeuge und Anhänger einschließlich Ersatzteile und Zubehör betreffen.
Als Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen gilt auch die Geltendmachung oder Abwehr von Schadenersatzansprüchen wegen reiner Vermögensschäden, die aus der Verletzung gesetzlicher oder vertraglicher Pflichten zwischen Vertragspartnern oder aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten entstehen.
Art 19 Schadenersatz- und Straf-Rechtsschutz für den Privat-, Berufs- und Betriebsbereich
2. Was ist versichert?
Der Versicherungsschutz umfasst
2.1 Schadenersatz-Rechtsschutz
für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts wegen eines erlittenen Personen-, Sach- oder Vermögensschadens;
3. Was ist nicht versichert?
3.1 Zur Vermeidung von Überschneidungen mit anderen Rechtsschutz-Bausteinen umfasst der Versicherungsschutz nicht
3.1.1 Fälle, welche beim Versicherungsnehmer und den mitversicherten Personen in ihrer Eigenschaft als Eigentümer, Halter, Zulassungsbesitzer, Leasingnehmer oder Lenker von Motorfahrzeugen zu Lande, zu Wasser und in der Luft sowie Anhängern eintreten (versicherbar gemäß Art 17 und 18).
OGH-Entscheidung
Als Voraussetzung für das Bestehen des Versicherungsschutzes sind die in den „Besonderen Bestimmungen“ (Art 17 bis 29 ARB) genannten Leistungsarten vom Versicherungsnehmer nachvollziehbar auszuführen. Behauptet der Versicherungsnehmer die Notwendigkeit der Interessenwahrnehmung im Rahmen einer bestimmten von ihm versicherten Leistungsart, dann muss er schlüssig darlegen, dass der von ihm verfolgte oder abzuwehrende Anspruch aus einem Rechtsverhältnis herrührt, das in den Schutzbereich seines Versicherungsvertrags fällt. Diese Voraussetzungen sind hier derzeit nicht gegeben. Es fehlt jegliches Vorbringen zu den tatsächlichen Voraussetzungen einer Anspruchsgrundlage für einen Anspruch der Klägerin gegenüber der Herstellerin.
Dies kann allerdings nicht zur sofortigen Abweisung des Klagebegehrens führen. Vielmehr ist der Klägerin Gelegenheit zu geben, ihr bisher unschlüssiges Deckungsbegehren zu verdeutlichen und zu präzisieren. Sollte sich, wovon erkennbar das Berufungsgericht – ohne entsprechendes Vorbringen der Klägerin – ausging, im fortgesetzten Verfahren ergeben, dass die Klägerin Deckung für die Geltendmachung eines deliktischen Schadenersatzanspruchs in Höhe der 30%igen Wertminderung des gekauften Wagens aus dem Erwerb einer mangelhaften Sache aufgrund einer Täuschungshandlung durch die Herstellerin begehrt, ist Folgendes zu beachten:
Zu Art 17.2.1 ARB (Fahrzeug-Schadenersatz-Rechtsschutz):
Den Begriff „bestimmungsgemäße Verwendung des Fahrzeugs“ versteht der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer dahin, dass zwar nicht nur Schäden anlässlich der Fortbewegung des Fahrzeugs umfasst sind, sondern alle Schäden, die zeitlich, räumlich oder funktional in einem adäquat kausalen Zusammenhang mit der Verwendung des Fahrzeugs als Transport- und Fortbewegungsmittel stehen. Die bloße Haltung eines Fahrzeugs als Statussymbol betrachtet hingegen – entgegen der Ansicht der Klägerin – auch der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer nicht als bestimmungsgemäße Verwendung des Fahrzeugs.
Ansprüche, die gegen den Hersteller aus dem behaupteten Einbau einer abgasmanipulierten Software in ein Fahrzeug geltend gemacht werden sollen, sind bereits von der positiven Deckungsumschreibung des Art 17.2.1 ARB nicht umfasst, da diese Ansprüche aus keiner bestimmungsgemäßen Verwendung des Fahrzeugs resultieren.
Zu Art 17.2.4 (Fahrzeug-Vertrags-Rechtsschutz):
Als Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen gilt auch die Geltendmachung oder Abwehr von Schadenersatzansprüchen wegen reiner Vermögensschäden, die aus der Verletzung gesetzlicher oder vertraglicher Pflichten zwischen Vertragspartnern oder aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten entstehen. Nicht strittig ist, dass der vom Berufungsgericht unterstellte Ersatzanspruch – mangels Fehlens eines Vertragsverhältnisses zum Hersteller – weder die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus einem schuldrechtlichen Vertrag, noch die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen wegen reiner Vermögensschäden, die aus der Verletzung gesetzlicher oder vertraglicher Pflichten zwischen Vertragspartnern entstehen, darstellen kann.
Die Klägerin meint jedoch, dass die Möglichkeit der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen wegen reiner Vermögensschäden, die aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten entstehen, mangels entsprechender Einschränkung in der Bedingung, auch die Geltendmachung von Vermögensschäden gegen Dritte erfasst. Dieses Auslegungsergebnis wird vom OGH nicht geteilt. Inwieweit ein Ersatzanspruch gegen die Herstellerin aus deren Verletzung vorvertraglicher Pflichten hergeleitet werden soll, ist nicht zu erkennen.
Zu Art 19.2.1 ARB (allgemeinen Schadenersatz-Rechtsschutz):
Dass ein Anspruch als deliktischer Schadenersatzanspruch auf gesetzlicher Grundlage grundsätzlich unter Art 19.2.1 ARB fällt, wird von der Beklagten nicht bezweifelt.
Bei Art 19.3.1.1 ARB handelt es sich um einen Deckungsabgrenzungsausschluss. Die in den Besonderen Bestimmungen beschriebenen Risiken (Rechtsschutz-Bausteine) werden in Form von Rechtsschutz-Kombinationen angeboten. Die Abgrenzung der Deckung geschieht primär im Wege der positiven Deckungsumschreibung. Dort, wo das zur Vermeidung ungewollter Deckungsüberschneidungen oder Unschärfen notwendig ist, erfolgt sie zusätzlich durch die sogenannten Deckungsabgrenzungsausschlüsse. Diese Deckungsabgrenzungsausschlüsse haben (im Gegensatz zu den Risikoausschlüssen im engeren Sinn) nur die Aufgabe, bestimmte Risiken aus einem Baustein auszugliedern, um sie einem anderen zuzuordnen. Der jeweilige Deckungsabgrenzungsausschluss greift daher auch nur dann, wenn das betroffene Risiko nach der positiven Deckungsbeschreibung des anderen Bausteins, dem die Deckung durch Querverweis zugewiesen wurde, grundsätzlich versicherbar ist. Unbeachtlich ist dagegen, ob der zutreffende Rechtsschutz-Baustein auch tatsächlich versichert ist oder nicht.
Da das betroffene Risiko weder von der – hier interessierenden – positiven Deckungsumschreibung des Schadenersatzfahrzeug-Rechtsschutzes nach Art 17.2.1 ARB noch von jener des Fahrzeug-Vertrags-Rechtsschutzes nach Art 17.2.4 ARB umfasst und dort daher auch nicht versicherbar ist, kommt der Deckungsabgrenzungsausschluss des Art 19.3.1.1 ARB hier nicht zum Tragen. Die Deckungspflicht der Beklagten ist in diesem Fall grundsätzlich nach Art 19.2.1 ARB zu bejahen.
Anmerkung: Die Tücken der Massenverfahren
Massenverfahren führen für Rechtsanwaltskanzleien natürlich zu einem gewissen Umsatz, haben aber auch gewisse Risiken – beispielsweise aufgrund der Anzahl der Fälle den Überblick zu verlieren, welches Vorbringen erstattet wurde. Sowohl in 7 Ob 29/22y als auch in 7 Ob 149/22w haben sich die Klagevertreter nicht auf Art 19 ARB gestützt, dessen Anwendbarkeit sogar ausdrücklich bestritten. Der Deckungsanspruch wurde den Versicherungsnehmern daher verwehrt. In 7 Ob 152/22m und 7 Ob 55/23y wurde aufgrund des unschlüssigen Vorbringens der Klagevertreter sogar der Deckungsanspruch mangels Erfolgsaussichten vom OGH abgelehnt.
Fälle für die Rechtsanwaltshaftpflichtversicherung?