Ausnahmesituationsklausel intransparent!
Unklar und daher intransparent im Sinn des § 6 Abs 3 KSchG ist der Begriff „Ausnahmesituation“. Da der Verbraucher die Reichweite des Risikoausschlusses nicht verlässlich abschätzen kann, besteht die Gefahr, dass er aufgrund des unbestimmten Begriffs „Ausnahmesituation“ davon absieht, allenfalls berechtigte Ansprüche gegen den Versicherer geltend zu machen.
Der OGH hat sich in einem Klauselprozess mit drei Klauseln der Rechtsschutzversicherung befasst.
Klausel 1 – Ausnahmesituationsausschluss intransparent
„Artikel 7
Was ist vom Versicherungsschutz ausgeschlossen?
1. Kein Versicherungsschutz besteht für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen […]
1.4. in unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang mit hoheitsrechtlichen Anordnungen, die aufgrund einer Ausnahmesituation an eine Personenmehrheit gerichtet sind.“
Nach § 6 Abs 3 KSchG ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie unklar oder unverständlich abgefasst ist. Das Transparenzgebot soll dem Kunden ermöglichen, sich aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsbestandteilen zuverlässig über seine Rechte und Pflichten bei der Vertragsabwicklung zu informieren (RS0115217 [T41]). Das setzt die Verwendung von Begriffen voraus, deren Bedeutung dem typischen Verbraucher geläufig sind oder von ihm jedenfalls festgestellt werden können. Das können naturgemäß auch Fachbegriffe sein, nicht aber Begriffe, die so unbestimmt sind, dass sich ihr Inhalt jeder eindeutigen Festlegung entzieht. Der durch ihre Verwendung geschaffene weite Beurteilungsspielraum schließt es aus, dass der Verbraucher Klarheit über seine Rechte und Pflichten gewinnen kann (RS0115217 [T3]). Das Transparenzgebot begnügt sich nicht mit der formellen Textverständlichkeit, sondern verlangt, dass Inhalt und Tragweite vorgefasster Vertragsklauseln für den Verbraucher „durchschaubar“ sind (RS0122169 [T2]). Mit dem Verbandsprozess soll nicht nur das Verbot von gesetzwidrigen Klauseln erreicht, sondern es sollen auch jene Klauseln beseitigt werden, die dem Verbraucher – durch ein unzutreffendes oder auch nur unklares Bild seiner vertraglichen Position – von der Durchsetzung seiner Rechte abhalten oder ihm unberechtigt Pflichten auferlegen. Daraus kann eine Pflicht zur Vollständigkeit folgen, wenn die Auswirkungen einer Klausel für einen Kunden andernfalls unklar bleiben (RS0115217 [T8]; RS0115219 [T1, T14, T21]; RS0121951 [T4]).
Zutreffend hat laut OGH das Berufungsgericht dargelegt, dass die Begriffe „hoheitsrechtliche Anordnungen“, „Personenmehrheit“ und „in unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang“ nicht intransparent im Sinn des § 6 Abs 3 KSchG sind.
Unklar und daher intransparent im Sinn des § 6 Abs 3 KSchG ist jedoch der Begriff „Ausnahmesituation“. Damit der Risikoausschluss zur Anwendung gelangt, muss die „Ausnahmesituation“ von einer „Regelsituation“ abweichen. Der Begriff „Ausnahmesituation“ wird von der Beklagten nicht näher definiert. Er ist so unbestimmt, dass im allgemeinen Sprachbereich gerade keine klaren Kriterien bestehen, die eine zweifelsfreie Zuordnung jeder möglichen Situation entweder als Regelfall oder als Ausnahme zulassen. Zutreffend hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass der in der Klausel 1 verwendete Begriff zahlreiche Interpretationen zulässt, die von der bloß unüblichen Situation bis hin zum nicht beherrschbaren außerordentlichen Zufall im Sinn des § 1104 ABGB reichen. Da der Verbraucher aber die Reichweite des Risikoausschlusses – und damit seine Rechtsposition – nicht verlässlich abschätzen kann, besteht die Gefahr, dass er aufgrund des unbestimmten Begriffs „Ausnahmesituation“ davon absieht, allenfalls berechtigte Ansprüche gegen den beklagten Versicherer geltend zu machen.
Die gröbliche Benachteiligung wurde vom OGH nicht mehr behandelt, da das Berufungsgericht diese bereits verneint hatte, und der beklagte Versicherer verständlicherweise in seiner Revision darauf nicht mehr eingegangen ist (Anmerkung: Der klagende VKI in seiner Revisionsbeantwortung anscheinend auch nicht).
Klausel 3 – Ausschluss bei einschlägiger Vorverurteilung zulässig
„Unabhängig vom Verfahrensausgang besteht kein Versicherungsschutz, wenn der Versicherte bereits mindestens einmal rechtskräftig wegen eines einschlägigen Vorsatzdeliktes verurteilt wurde.“
Die Klausel 3 ist nicht objektiv ungewöhnlich, weil sie nicht von den Erwartungen des Versicherungsnehmers deutlich abweicht, mit denen er nach den Umständen vernünftigerweise rechnen durfte. Der Kläger bestreitet nicht das Argument des Berufungsgerichts, dass das Risiko, wegen einer Vorsatztat verfolgt zu werden, von Versicherungsnehmern, die bereits ein Mal wegen eines einschlägigen Vorsatzdelikts verurteilt wurden, – ex ante betrachtet – höher ist als bei Personen, bei denen dies nicht der Fall ist. Wenn die Beklagte dieses Risiko im Straf-Rechtsschutz nicht tragen will, ist dies sachlich gerechtfertigt und der Risikoausschluss nicht unangemessen und für den einschlägig vorbestraften Versicherungsnehmer voraussehbar.
Die Klausel 3 ist auch nicht im Sinn des § 6 Abs 3 KSchG intransparent. Zutreffend führte das Berufungsgericht aus, dass die Beschränkung des Risikoausschlusses auf „einschlägige“ Vorverurteilungen solche Taten meint, die „auf der gleichen schädlichen Neigung beruhen“ (vgl § 71 StGB). Die in Klausel 3 gewählte Formulierung ist eine solche, die üblicherweise im strafrechtlichen Kontext verwendet wird und deren Bedeutung dem typischen Verbraucher geläufig – oder für ihn zumindest feststellbar (RS0115217 [T3]) – ist.
Die Klausel 3 verstößt daher weder gegen § 864a ABGB noch gegen § 879 Abs 3 ABGB und ist auch nicht intransparent im Sinn des § 6 Abs 3 KSchG.
Klausel 4 – freie Anwaltswahl intransparent
„Das Wahlrecht nach Pkt. 1. und 2. bezieht sich nur auf Personen, die ihren Kanzleisitz am Ort des Gerichtes oder der Verwaltungsbehörde haben, die für das durchzuführende Verfahren in erster Instanz zuständig ist. Wenn am Ort dieses Gerichtes oder dieser Verwaltungsbehörde nicht mindestens vier solche Personen ihren Kanzleisitz haben, erstreckt sich das Wahlrecht auf eine im Sprengel des zuständigen Landesgerichtes ansässige vertretungsbefugte Person.“
Der Oberste Gerichtshof beurteilte bereits zu 7 Ob 156/20x [Klausel 11] eine inhaltsgleiche Klausel.
Er führte dazu aus, eine Klausel in Rechtsschutzversicherungsbedingungen, wonach das freie Anwaltswahlrecht auf Personen eingeschränkt wird, die ihren Kanzleisitz am Ort des Gerichts oder der Verwaltungsbehörde haben, ist unvollständig und intransparent, selbst wenn sie sich am Gesetzestext orientiert. Sie lässt nämlich die (im Sinne der Rechtsprechung des EuGH) erforderliche Information weg, dass bei richtlinienkonformer Auslegung unter bestimmten Voraussetzungen ein nicht ortsansässiger Rechtsanwalt gewählt werden kann. Das ist dann der Fall, wenn sich der nicht ortsansässige Rechtsvertreter dazu bereit erklärt, seine Leistungen wie ein ortsansässiger Vertreter zu verrechnen, weil damit der Sinn und Zweck der Klausel (kostensparende und prämiensenkende Wirkung) gewahrt bleibt (RS0125556). Die Klausel 4 verletzt das Transparenzgebot, weil in ihr diese wesentliche Information weggelassen wird und deren Fehlen geeignet ist, beim Adressaten eine unrichtige Vorstellung von seinen Rechten zu erwecken und ihn von der Verfolgung berechtigter Ansprüche abzuhalten.
Anmerkung
Vergleicht man die Entscheidung des OGH zu Klausel 1 und zu Klausel 3 und die darin geäußerten Erwartungen oder Nichterwartungen des OGH an die Verständnisfähigkeit des durchschnittlichen Verbrauchers, könnte aufgeworfen werden, dass hier mit zweierlei Maß geurteilt wurde, eventuell auch getrieben durch die COVID-19-Pandemie und die zahlreichen damit in Zusammenhang stehenden Rechtstreitigkeiten. Jedenfalls sind davon mehr Verbraucher betroffen als von einschlägigen Vorverurteilungen.
Mit dieser Entscheidung zu Klausel 1 wurde zumindest ein langes Kapitel endlich geschlossen. Was bleibt? Rechtsschutzversicherer dürfen sich gegenüber Verbrauchern nicht auf die Ausnahmesituationsklausel, wie sie derzeit am Markt vorliegt, berufen. Gegenüber Unternehmern ist sie aber mangels gröblicher Benachteiligung noch immer anwendbar (7 Ob 42/21h). Schaffen es die Rechtsschutzversicherer den Risikoausschluss so umzuformulieren, dass der Begriff „Ausnahmesituation“ bestimmbar wird, wird einer Anwendung auch gegenüber Verbrauchern nichts im Wege stehen, da die gröbliche Benachteiligung vom OGH bereits verneint wurde.