Anzeigeobliegenheit und Verjährung in der Rechtsschutzversicherung
Die Verjährung des Anspruchs aus der Rechtsschutzversicherung beginnt zu jenem Zeitpunkt, zu dem sich die Notwendigkeit einer Interessenwahrnehmung für den VN so konkret abzeichnet, dass er mit der Entstehung von Rechtskosten rechnen muss.
Sachverhalt
Der Kläger erwarb am 10. Jänner 2013 einen VW, der mit einem Dieselmotor ausgestattet ist, welcher vom „VW-Diesel-Abgasskandal“ betroffen. In den Jahren 2015 und 2016 hörte der Kläger durch mediale Berichterstattung, dass bei Fahrzeugen der V* AG (in Hinkunft Herstellerin) „getrickst“ worden sei. Er ging davon aus, dass auch sein Fahrzeug von den Manipulationen betroffen ist, war aber aufgrund entsprechender Medienberichte der Meinung, dass eine Geltendmachung der Ansprüche in Europa nicht möglich oder erfolgreich ist. Daher verfolgte er die Berichterstattung nicht weiter und beabsichtigte „zu diesem Zeitpunkt“ auch keine gerichtliche Geltendmachung allenfalls bestehender Ansprüche gegen die Herstellerin. Er informierte auch die Beklagte nicht.
Am 27. Februar 2017 folgte der Kläger der Einladung der Herstellerin und ließ auf seinem Fahrzeug das von ihr empfohlene (bzw als Lösung der Manipulationen angepriesene) Software-Update durchführen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war ihm bekannt, dass sein Fahrzeug vom Abgasskandal betroffen ist. Nach dem Update bemerkte der Kläger einen höheren Kraftstoffverbrauch. Im Jahr 2019 wurde ihm im Zuge der Reparatur des Abgasreinigers mitgeteilt, dass das Software-Update für die Reparatur verantwortlich sei. Er verfolgte die mediale Berichterstattung zu dem Software-Update nicht und informierte die Beklagte über die nach dem Software-Update aufgetretenen Probleme an seinem Fahrzeug nicht.
Erst nachdem im Mai 2020 in der Fernsehsendung „Konkret“ berichtet wurde, dass österreichische Geschädigte des Abgasskandals die Herstellerin nunmehr auch vor österreichischen Gerichten klagen können, beschloss er, gegen die Herstellerin vorzugehen und seine Ansprüche geltend zu machen. Am 9. Juni 2020 – im Zuge eines kostenlosen Erstgesprächs zwischen dem Kläger und seinem Rechtsvertreter – wurde erstmals die Möglichkeit einer gerichtlichen Geltendmachung seines Anspruchs gegen die Herstellerin erörtert. Anschließend suchte der Klagevertreter am 17. Juni 2020 um Rechtsschutzdeckung bei der Beklagten an.
Relevante Bestimmungen
§ 33 VersVG
(1) Der Versicherungsnehmer hat den Eintritt des Versicherungsfalles, nachdem er von ihm Kenntnis erlangt hat, unverzüglich dem Versicherer anzuzeigen.
Artikel 8 ARB
Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer zur Sicherung seines Deckungsanspruches zu beachten? (Obliegenheiten)
1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, ist er verpflichtet
1.1. den Versicherer unverzüglich, vollständig und wahrheitsgemäß über die jeweilige Sachlage aufzuklären und ihm alle erforderlichen Unterlagen auf Verlangen vorzulegen;
§ 12 VersVG
(1) Die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag verjähren in drei Jahren. Steht der Anspruch einem Dritten zu, so beginnt die Verjährung zu laufen, sobald diesem sein Recht auf die Leistung des Versicherers bekanntgeworden ist; ist dem Dritten dieses Recht nicht bekanntgeworden, so verjähren seine Ansprüche erst nach zehn Jahren.
Entscheidungen der Unterinstanzen
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der Kläger wäre spätestens am 27. Februar 2017 verpflichtet gewesen, den Versicherungsfall bei der Beklagten zu melden. Die Schadensmeldung vom 17. Juni 2020 sei damit keinesfalls unverzüglich erfolgt, der Kläger habe seine Obliegenheit nach § 33 Abs 1 VersVG verletzt. Obwohl der Kläger seine Anzeigepflicht damit grob fahrlässig verletzt habe, sei die Leistungspflicht der Beklagten zu bejahen, weil der Kläger den Kausalitätsgegenbeweis erbracht habe.
Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil in eine Klagsabweisung ab. In der Rechtsschutzversicherung könne der Versicherungsnehmer die Leistung nach ständiger Rechtsprechung spätestens dann verlangen, wenn sich die Notwendigkeit einer Interessenwahrnehmung für ihn so konkret abzeichne, dass er mit der Entstehung von Rechtskosten rechnen müsse, deretwegen er den Rechtsschutzversicherer in Anspruch nehmen wolle. Ab diesem Zeitpunkt beginne die dreijährige Verjährungsfrist für den Versicherungsnehmer zu laufen. Obwohl dem Kläger nach Durchführung des Software-Updates am 27. Februar 2017 bewusst geworden sei, dass er vom Dieselskandal betroffen sei und er nach dem Update einen höheren Kraftstoffverbrauch bemerkt habe, habe er keine Erkundigungen über mögliche Ansprüche gegenüber der Herstellerin eingeholt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte dem Kläger aber klar sein müssen, dass, um seine Ansprüche aus dem Kauf des Fahrzeugs durchsetzen zu können, eine Prozessführung nicht nur möglich, sondern wohl auch notwendig sei. Die dreijährige Verjährungsfrist nach § 12 Abs 1 VersVG habe daher im Februar 2017 zu laufen begonnen, sodass diese zum Zeitpunkt der Einbringung der Feststellungsklage am 2. Oktober 2020 bereits abgelaufen gewesen sei.
OGH-Entscheidung
Die Beurteilung des Erstgerichts, der Kläger habe durch seine am 17. 6. 2020 erfolgte Schadensmeldung seine Obliegenheit nach § 33 Abs 1 VersVG grob fahrlässig verletzt, wurde bereits im Berufungsverfahren von keiner der Parteien angezweifelt (vgl. aber meine Anmerkungen). Offen ist daher nur mehr die Frage der Verjährung und jene der Erbringung des Kausalitätsgegenbeweises.
Die Verjährungsfrist des § 12 VersVG beträgt drei Jahre und ihr Beginn ist nicht mehr im Versicherungsvertragsgesetz speziell geregelt. Nach § 12 Abs 1 Satz 1 VersVG gilt grundsätzlich die allgemeine Regelung des § 1478 ABGB, wonach für den Versicherungsnehmer die Verjährung mit dem Zeitpunkt beginnt, zu dem das Recht hätte ausgeübt werden können (7 Ob 268/03t, 7 Ob 176/17h), seiner Geltendmachung also kein rechtliches Hindernis mehr entgegensteht (RS0034343 [T2], RS0034248 [T8]).
Im besonderen Fall der Rechtsschutzversicherung beginnt die Verjährung mit der Fälligkeit des Rechtsschutzanspruchs zu laufen. Daher beginnt nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs die Verjährung des Anspruchs aus der Rechtsschutzversicherung nach § 12 Abs 1 Satz 1 VersVG zu jenem Zeitpunkt, zu dem sich die Notwendigkeit einer Interessenwahrnehmung für den Versicherungsnehmer so konkret abzeichnet, dass er mit der Entstehung von Rechtskosten rechnen muss, deretwegen er die Rechtsschutzversicherung in Anspruch nehmen will (vgl 7 Ob 164/19x, RS0054251).
Die Beklagte ging zuletzt vom Beginn der Verjährung im Frühjahr 2017 aus und begründete dies damit, dass der Kläger der seit 2015 angenommen habe, dass sein Fahrzeug vom Abgasskandal betroffen sei, nach dem Update im Februar 2017 aber einen erhöhten Kraftstoffverbrauch bemerkt habe. Allein der von der Beklagten ins Treffen geführten Kraftstoffmehrverbrauch war für den Kläger aber noch kein Grund, an der von der Herstellerin zugesagten Mangelbehebung durch das Update zu zweifeln und von der Unbehebbarkeit auszugehen. Damit zeichnete sich für ihn zu diesem Zeitpunkt aber auch noch keine Notwendigkeit zur Interessenwahrnehmung im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Erwerb der mangelhaften Sache infolge Täuschungshandlung durch die Herstellerin so konkret ab, dass er mit dem Entstehen von Rechtskosten rechnen musste, deretwegen er den Rechtsschutzversicherer in Anspruch nehmen will. Im hier konkreten Einzelfall hat die Beklagte damit den Eintritt der Verjährung nicht dargelegt.
Aufgrund der vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht des Berufungsgerichts, unterließ dieses die Behandlung der Tatsachenrügen im Zusammenhang mit dem Kausalitätsgegenbeweis, sodass dessen allfällige Erbringung nicht abschließend beurteilt werden kann. Das Urteil des Berufungsgerichts wurde aufgehoben und diesem die neuerliche Entscheidung aufgetragen.
Anmerkungen
Interessant ist, dass sich der OGH mangels Bekämpfung im Berufungsverfahren nicht mehr mit der Frage auseinander gesetzt hat, ob der Kläger seine Obliegenheit nach § 33 Abs 1 VersVG überhaupt grob fahrlässig verletzt hat. Dies hätte man nämlich aufgrund der OGH-Entscheidung 7 Ob 140/16p als Kläger meiner Ansicht nach erfolgreich bekämpfen können:
- Die in § 33 Abs 1 VersVG normierte Obliegenheit zur unverzüglichen Anzeige eines Versicherungsfalls gilt für die Rechtsschutzversicherung nur eingeschränkt, weil der Versicherungsnehmer den Versicherer nicht nach jedem Versicherungsfall, sondern nur dann zu unterrichten hat, wenn er aufgrund eines Versicherungsfalls Versicherungsschutz „begehrt“.
- Art 8.1.1. ARB 2003 beruht auf der Überlegung, dass der Versicherer kein Interesse daran haben kann, von jedem möglichen Schadenereignis oder Verstoß gegen vertragliche oder gesetzliche Rechtspflichten zu erfahren, ohne dass feststeht, dass dies zu einer kostenauslösenden Reaktion führen kann.
- Erst wenn sich kostenauslösende Maßnahmen abzeichnen, das heißt, wenn sich die rechtliche Auseinandersetzung so weit konkretisiert hat, dass der Versicherungsnehmer mit der Aufwendung von Rechtskosten rechnen muss und deshalb seinen Rechtsschutzversicherer in Anspruch nehmen will, entsteht für ihn die Obliegenheit, den Versicherer unverzüglich zu informieren und kostenauslösende Maßnahmen mit ihm abzustimmen. Dessen Unterrichtung hat spätestens in einem Stadium zu erfolgen, das dem Versicherer noch die Prüfung seiner Eintrittspflicht und die Abstimmung von Maßnahmen erlaubt. Insbesondere ist der Versicherer – abgesehen von eiligen Fällen – so zeitig zu unterrichten, dass er noch ausreichend Zeit hat, die Erfolgsaussichten der Prozessführung abzuklären.
Ob sich der Moment, in welchem sich kostenauslösende Maßnahmen abzeichneten, wirklich bereits im Februar 2017 verwirklichte, wie das Erstgericht urteilte, ist meiner Ansicht nach zu bezweifeln, und hätte im Berufungsverfahren (in der Berufungsbeantwortung durch den Kläger) bekämpft werden sollen. Aufgrund der Begründung des OGH, weshalb im Frühjahr 2017 noch nicht die Verjährungsfrist zu laufen begonnen hat, ist davon auszugehen, dass auch der OGH davon ausgegangen wäre, dass keine Obliegenheitsverletzung vorliegt, da der kostenauslösende Moment erst die Beratung im Juni 2020 war. Wenn der OGH die Obliegenheitsverletzung verneint hätte, dann wäre die Frage des Kausalitätsgegenbeweise nicht mehr zu lösen und das Verfahren zugunsten des VN beendet worden.
Vgl. auch versdb 2022, 61 – versdb.com