Beschädigung des Fahrzeuges bei Befreiung von Schnee
Das Schadenereignis wirkt plötzlich auf ein Fahrzeug ein, wenn es sich in einem relativ kurzen Zeitraum abspielt. „Plötzlich“ ist auch ein allmähliches Geschehen, sofern die Folgen für den Versicherungsnehmer unerwartet waren. Das Zerkratzen des Autos beim Entfernen von Schnee durch einen Dritten stellt eine plötzliche Einwirkung und somit einen Unfall dar.
Sachverhalt
Der Kläger hat bei der Beklagten für seinen PKW einen Kaskoversicherungsvertrag abgeschlossen. Diesem liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Fahrzeug-Vollkaskoversicherung zugrunde.
Das Fahrzeug wird vom Kläger und seiner Frau benützt, wobei vorwiegend die Frau das Fahrzeug in Verwendung hat. Im April 2021 fielen dem Kläger und seiner Frau Lackkratzer auf, die mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit durch die unsachgemäße Verwendung einer Eisenschaufel bei der Schneeräumung durch eine dritte Person herbeigeführt wurden.
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die Beklagte aufgrund des Kaskoversicherungsvertrags für die Reparatur seines Fahrzeugs aufgrund des Vandalismusschadens für sämtliche Schäden Deckung zu gewähren habe. Die an dem Fahrzeug entstandenen Schäden seien vom Versicherungsschutz umfasst: Würde eine mut- oder böswillige Handlung nach Art 1.1.5 KKB ausscheiden, bestünde Versicherungsschutz gemäß Art 1.1.6 KKB, da es sich jedenfalls um ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt einwirkendes Ereignis gehandelt haben müsse, welches diese Kratzer verursacht habe.
Relevante Bestimmungen der AVB
Artikel 1 Was ist versichert? (Umfang der Versicherung)
1. Versichert sind das Fahrzeug und seine Teile, die im versperrten Fahrzeug verwahrt oder an ihm befestigt sind, gegen Beschädigung, Zerstörung und Verlust […]
1.5 durch mut- oder böswillige Handlungen betriebsfremder Personen;
1.6 durch Unfall, das ist ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt einwirkendes Ereignis; Brems-, Betriebs- und reine Bruchschäden sind daher nicht versichert.
OGH-Entscheidung
Nach Art 1.1.6 KKB ist das Fahrzeug gegen Beschädigung, Zerstörung und Verlust durch Unfall versichert. Unfall ist ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt einwirkendes Ereignis.
Zu klären ist die Frage, ob die Einwirkung plötzlich erfolgte. Der Begriff „plötzlich“ stellt das zeitliche Element der Unfalldefinition dar. Insoweit dient es der Abgrenzung der versicherten Risiken gegen solche Ereignisse, die durch ein allmähliches, sich auf einen längeren Zeitraum erstreckenden Eintritt des schädigenden Umstands gekennzeichnet sind. Länger anhaltende Einwirkungen sowie Verschleiß- und Abnutzungsschäden sind schon nach dem Sprachgebrauch keine Unfälle. Das Schadenereignis wirkt plötzlich auf ein Fahrzeug ein, wenn es sich in einem relativ kurzen Zeitraum abspielt. Der Begriff schließt auch ein subjektives Element des Unerwarteten, nicht Vorausgesehenen, Unentrinnbaren ein. „Plötzlich“ ist damit auch ein allmähliches Geschehen, sofern die Folgen für den Versicherungsnehmer unerwartet waren.
Der Oberste Gerichtshof hat in diesem Sinn zu dem insoweit vergleichbaren Begriff der „Plötzlichkeit“ in der Unfallversicherung auch bereits ausgesprochen, dass das Moment des Unerwarteten und des Unentrinnbaren dazugehört. Für den Versicherten muss die Lage so sein, dass er sich bei normalem Geschehensablauf den Folgen des Ereignisses im Augenblick ihres Einwirkens auf seine Person (hier: sein Fahrzeug) nicht mehr entziehen kann (RS0082022). „Plötzlich“ sind damit zwanglos alle Ereignisse, die sich in einem sehr kurzen Zeitraum unerwartet ereignen. Es können aber auch allmählich eintretende Ereignisse unter den Begriff fallen, wenn sie nur für den Versicherungsnehmer unerwartet und unvorhergesehen waren. Ein Unfallereignis liegt somit nur dann vor, wenn objektiv für den betreffenden Versicherungsnehmer kein Grund bestand, mit den konkret eingetretenen Umständen zu rechnen, er davon überrascht wurde und ihnen nicht entgehen konnte (RS0131133). Hat also ein Versicherungsnehmer zwar selbst nicht damit gerechnet, den konkreten widrigen Umständen in dieser Form zu begegnen, hätte er dies aber objektiv betrachtet in der konkreten Situation tun müssen, mangelt es an der beachtlichen subjektiven Komponente, sodass nicht von „Plötzlichkeit“ und einem Unfallgeschehen gesprochen werden kann (7 Ob 178/21h).
Daraus folgt, dass die Beschädigung eines Fahrzeugs durch einen Dritten, für den Versicherungsnehmer unerwartet, unerkennbar und nicht vorhergesehen, sohin plötzlich eintritt (vgl BGH IV ZR 245/96). An einer plötzlichen Einwirkung fehlt es jedoch, wenn der Versicherungsnehmer sein Fahrzeug selbst mit einem sandbeschmutzten Schwamm wäscht (Stadler aaO Rn 311) – oder mit einer Eisenschaufel den Schnee vom Fahrzeug entfernt – und den Lack beschädigt.
Zusammengefasst bedeutet dies für den vorliegenden Fall: Wurde die Lackierung des Fahrzeugs im Zuge des Entfernens von Schnee durch einen (unbekannten) Dritten zerkratzt, wäre die Einwirkung plötzlich und es läge ein Unfall nach Art 1.1.6 KKB vor. Andernfalls könnte es an den genannten beachtlichen subjektiven Komponenten fehlen, sodass von einer „Plötzlichkeit“ und einem Unfallgeschehen nicht gesprochen werden kann. Durch wen das Zerkratzen der Lackierung bei der Entfernung von Schnee mittels Eisenschaufel erfolgte, ist Gegenstand der von der Beklagten bekämpften erstgerichtlichen Feststellungen.
Beitrag von Julia Loisl.