Schaden durch Fahrgast eines Busses
Ein Schaden, der dadurch entsteht, dass ein Fahrgast, der sich am Weg zur im Reisebus vorhandenen Toilette befindet, aufgrund einer starken Bremsung gegen die Windschutzscheibe geschleudert wird, realisiert eine primär vom Kraftfahrzeugbetrieb ausgehende Gefahr und damit jenes spezifische Risiko aus der Verwendung eines Kraftfahrzeuges (Risikoausschluss).
Sachverhalt
Der Kläger ist bei der Beklagten privathaftpflichtversichert. Der Kläger nahm am 10.09.2022 an einer Busreise teil, stand während der Fahrt auf, weil er die im Reisebus vorhandene Toilette benutzen wollte. Aufgrund einer starken Bremsung wurde er gegen die Windschutzscheibe geschleudert. Hierdurch entstanden Schäden am Bus (an der Windschutzscheibe und der dortigen Plastikverkleidung). Der Busunternehmer begehrt deshalb vom Kläger in einem Prozess Schadenersatz, insbesondere weil der Kläger die Anweisung des Busfahrers missachtet habe, während der Fahrt angeschnallt sitzen zu bleiben. Die Beklagte lehnte die Deckung aus der Privathaftpflichtversicherung wegen des Risikoausschlusses „Verwendung eines Kfz“ ab.
Relevante Bestimmungen der AHVB
Art 7 AHVB 2003
„(5) Die Versicherung erstreckt sich nicht auf Schadenersatzverpflichtungen aus Schäden, die der Versicherungsnehmer oder die für ihn handelnden Personen verursachen durch Haltung oder Verwendung von
5.3 Kraftfahrzeugen […]“.
OGH-Entscheidung
Im Revisionsverfahren ist ausschließlich strittig, ob der Risikoausschluss gemäß Art 7.5.3 AHVB 2003 vorliegt, also ob der Schaden vom Versicherungsnehmer durch Verwendung eines kennzeichenpflichtigen Kraftfahrzeugs verursacht wurde. Durch diesen Risikoausschluss soll das erhöhte Risiko, das von Kraftfahrzeugen ausgeht, vom Versicherungsschutz ausgenommen werden (7 Ob 159/08w; 7 Ob 178/22k).
Liegen zwei Haftpflichtversicherungsverträge (hier: KFZ-Haftpflichtversicherung und private Haftpflichtversicherung) vor, bemüht sich die Rechtsprechung bei der Auslegung der Versicherungsbedingungen zwar darum, den Deckungsschutz der einzelnen Arten der Haftpflichtversicherung so abzugrenzen, dass sie nahtlos ineinander greifen, also sich weder überschneiden noch eine Deckungslücke lassen. Dabei handelt es sich aber nur um ein Auslegungsprinzip, nicht jedoch um einen zwingenden Rechtssatz, der sich gegenüber anderslautenden vertraglichen Vereinbarungen durchsetzen könnte; es müssen durch die Auslegung weder ein Überschneiden der Versicherungsbereiche noch Deckungslücken jedenfalls verhindert werden (7 Ob 155/21a mwN).
Der Oberste Gerichtshof orientiert sich bei der Auslegung des Begriffs „Verwendung des Kraftfahrzeugs“ in der privaten Haftpflichtversicherung an § 2 Abs 1 KHVG (7 Ob 177/04m; 7 Ob 159/08w; 7 Ob 178/22k). Der Begriff der Verwendung gemäß § 2 Abs 1 KHVG ist nach ständiger Rechtsprechung weiter als der Begriff des Betriebs im Sinn des § 1 EKHG (RS0116494 [T1]). Er erfasst die Verwendung (den Gebrauch) des Fahrzeugs schlechthin (RS0088976; RS0088978).
Der in der privaten (oder betrieblichen) Haftpflichtversicherung eng auszulegende Risikoausschluss (vgl 7 Ob 178/22k [Rz 16]; RS0107031) betreffend die Verwendung eines Kraftfahrzeugs soll das besondere aus der Haltung und Verwendung von Kraftfahrzeugen resultierende Risiko ausschließen, weil es Zweck der in der Haushaltsversicherung eingeschlossenen Haftpflichtversicherung ist, Schadenersatzverpflichtungen des Versicherungsnehmers als Privatperson abzudecken (7 Ob 33/23p mwN). Damit besteht eine Deckungspflicht der Haushaltsversicherung nur dann, wenn der Schaden nicht aus einer Verwendung eines Kraftfahrzeugs entstanden ist (vgl RS0110470 [T2]).
Eine zweckorientierte Auslegung des Ausschlusstatbestands erfordert die Verwirklichung einer primär von der Verwendung des Kraftfahrzeugs unmittelbar ausgehenden Gefahr, nicht aber die Realisierung anderer (zB betrieblicher) Risiken, die in irgendeinem Zusammenhang mit einem Kraftfahrzeug stehen. Der Schaden muss somit dem Kraftfahrzeugrisiko näher stehen als dem betrieblichen Risiko, also bei natürlicher Betrachtung diesem zuzuordnen sein (7 Ob 178/22k [Rz 17] mwN).
Im gegenständlichen Fall greift der Risikoausschluss nach Art 7.5.3 AHVB 2003:
Der Kläger hat als Fahrgast den Bus durch sein Mitfahren entsprechend dem Risikoausschluss nach Art 7.5.3 AHVB 2003 „verwendet“. Der Schaden ist nicht bloß dadurch entstanden, dass er während der Fahrt aufstand und sich auf den Weg zur im Reisebus vorhandenen Toilette begab, sondern dadurch, dass er aufgrund einer starken Bremsung des Busses gegen die Windschutzscheibe geschleudert wurde, wodurch dem Busunternehmer ein Schaden entstand. Damit realisierte sich die primär vom Kraftfahrzeugbetrieb ausgehende Gefahr und damit jenes spezifische Risiko aus der Verwendung eines Kraftfahrzeugs, das von der Haftpflichtversicherung ausgenommen werden soll. Es besteht ein ursächlicher Zusammenhang des vom klagenden Versicherungsnehmer verursachten Schadens am Reisebus (an der Windschutzscheibe und der dortigen Plastikverkleidung) mit einem bestimmten Betriebsvorgang des Kraftfahrzeugs (der starken Bremsung), sodass von einer Verwendung im Sinn des Risikoausschlusses auszugehen ist.
Beitrag von Julia Loisl.