Deckungsumfang erweiterte Produkthaftpflicht
Führt die Mangelhaftigkeit des gelieferten Produkts zur Unveräußerlichkeit des Endprodukts, ersetzt der Versicherer den entgangenen Gewinn. Dies gilt auch, wenn das Endprodukt aufgrund des Mangels gar nicht entstanden ist.
Sachverhalt
Der VN betreibt einen landwirtschaftlichen Gartenbaubetrieb, der unter anderem auf die Aufzucht von Jungpflanzen spezialisiert ist. Im August 2019 lieferte dier VN Paradeiser-(Tomaten-)jungpflanzen zum Zweck der Gemüseproduktion an eine Abnehmerin.
Die Abnehmerin meinte, die Pflanzen hätten vereinbarungswidrig zu wenige Triebe gehabt; zudem sei zwei Wochen nach Übergabe ein Pilzbefall in Bezug auf alle von dem VN gelieferten Pflanzen aufgetreten. Die Abnehmerin machte aus dem Titel des Schadenersatzes einen Mängelbehebungsaufwand von 6.339,90 EUR und einen entgangenen Gewinn von 120.254,27 EUR geltend. Nachdem sie die vorliegenden Mängel erkannt habe, habe sie umgehend Maßnahmen zur Schadensminderung gesetzt. So habe sie im Rahmen ihrer Schadenminderungspflicht einerseits zusätzliches Personal einsetzen müssen (höhere Personalkosten). Andererseits habe sie im Rahmen ihrer Schadenminderungspflicht weiters Pflanzenschutzmittel verwenden und zur Fehlersuche eine Analyse der AGES einholen müssen. Infolge der mangelhaften Lieferungen und der damit einher gegangenen Umsatzausfälle sei ihr darüber hinaus ein Gewinn entgangen.
Relevante Bestimmungen der AHVB/EHVB
Art 7 AHVB Ausschlüsse vom Versicherungsschutz
1. Unter die Versicherung gemäß Art 1 fallen insbesondere nicht
1.1 Ansprüche aus Gewährleistung für Mängel;
1.2 Ansprüche, soweit sie aufgrund eines Vertrages oder einer besonderen Zusage über den Umfang der gesetzlichen Schadenersatzpflicht hinausgehen;
1.3 die Erfüllung von Verträgen und die an die Stelle der Erfüllung tretende Ersatzleistung.
Abschnitt A Z 2 EHVB – Produkthaftpflichtrisiko
4. Versicherungsschutz aufgrund besonderer Vereinbarung (erweiterte Deckung der Produkthaftpflicht)
4.1 Nur aufgrund besonderer Vereinbarung und unabhängig davon, ob ein Sach- oder Vermögensschaden im Sinne dieser Bedingungen vorliegt, erstreckt sich der Versicherungsschutz abweichend von Art 1 und Art 7, Pkt 15 AHVB auch auf das Produkthaftpflichtrisiko, soweit es sich handelt um
4.1.2 Schäden, welche Dritten aus der Weiterbearbeitung oder Weiterverarbeitung mangelhafter durch den Versicherungsnehmer gelieferter Produkte entstehen, ohne dass eine Verbindung, Vermischung oder Verarbeitung mit anderen Produkten stattfand, und zwar
4.1.2.1 wegen der für die Herstellung des Endprodukts aufgewendeten Kosten, mit Ausnahme des Entgelts für das mangelhafte Produkt des Versicherungsnehmers;
4.1.2.2 wegen eines weiteren aus der Unveräußerlichkeit des Endprodukts entstehenden Vermögensnachteils. Kann das Endprodukt nur mit einem Preisnachlass veräußert werden, so ersetzt der Versicherer anstelle der Versicherungsleistung nach Punkt 4.1.2.1 den entstehenden Mindererlös. Der Versicherer ersetzt den Schaden in dem Verhältnis nicht, in dem das Entgelt für das Produkt des Versicherungsnehmers zu dem Verkaufspreis steht, der bei mangelfreier Lieferung für das Endprodukt zu erwarten gewesen wäre;
4.1.2.3 wegen Aufwendungen, die zusätzlich wegen einer rechtlich notwendigen und wirtschaftlich angemessenen Nachbesserung des Endprodukts oder einer anderen Schadenbeseitigung entstanden sind. Der Versicherer ersetzt die entstandenen Aufwendungen in dem Verhältnis nicht, in dem das Entgelt für das Produkt des Versicherungsnehmers zum Verkaufspreis des Endprodukts steht;
OGH-Entscheidung
Bei den von der Abnehmerin geltend gemachten Schadenersatzansprüchen handelt es sich um reine Vermögensschäden, für die die Beklagte nur dann Versicherungsschutz zu leisten hat, wenn sie nach Abschnitt A, Z 2, Pkt 4.1 EHVB versichert sind.
Abschnitt A, Z 2, Pkt 4.1 EHVB erweitert den Versicherungsschutz für die Gesamtheit der gesetzlichen Haftungstatbestände für Schäden die durch Mängel eines Produkts nach Lieferung oder durch Mängel einer geleisteten Arbeit nach Übergabe verursacht werden. Nach der hier interessierenden Bestimmung Abschnitt A, Z 2 Punkt 4.1.2 EHVB sind
- zum einen bestimmte Produktionsvorgänge (Weiterver- und -bearbeitung) und
- zum anderen bestimmte Schadenspositionen (Herstellungsausfall, Nachbesserungs-/ Schadenbeseitigungskosten, aus der Unveräußerlichkeit des Endprodukts entstehende Vermögensnachteile)
versichert, deren Ersatz der Versicherungsnehmer als Lieferant des mangelhaften Produkts seinem Abnehmer schuldet.
Weiterverarbeitung und Weiterbearbeitung
Unter dem Begriff Weiterverarbeitung werden Vorgänge verstanden, bei denen ein Dritter das vom Versicherungsnehmer gelieferte Produkt zu einem anderen Produkt umwandelt. Unter den Terminus der Weiterbearbeitung fallen Tätigkeiten, bei denen das gelieferte Produkt als solches bestehen bleibt und einer Veredelung, Oberflächen- oder Wärmebehandlung unterzogen wird. Während bei der Weiterverarbeitung dem Produkt eine neue Form oder ein neues Aussehen verliehen wird, kommt es bei der Weiterbearbeitung nur zu einer die Form erhaltenden Bearbeitung
Die Weiterbearbeitung liegt gegenständlich vor: Die Kläger lieferten der Abnehmerin Jungpflanzen zum Zwecke der Gemüseproduktion. Ihre Aufzucht durch Behandlung und Pflege (zB Gießen, Düngen, Ausschneiden usw) ist vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen als Weiterbearbeitung der Produkte der Kläger (Jungpflanzen) anzusehen, um das Endprodukt, nämlich die erntereife, fruchttragende Pflanze hervorzubringen. Das Endprodukt besteht somit in der ausgewachsenen Pflanze samt den Früchten.
Herstellungskosten (4.1.2.1)
Unter Herstellungskosten versteht man grundsätzlich sämtliche Kosten der Herstellung des Endprodukts, wie zB Löhne und Gehälter, Energie, Verbrauchs- und Betriebsstoffe, Abschreibungen auf Maschinen und Gebäude, Gemeinkosten für Verwaltung und Verkauf usw. Nach der Bestimmung gedeckt sind jedoch nur die nutzlos aufgewendeten Herstellungskosten, wenn das weiterverarbeitete oder weiterbearbeitete Produkt aufgrund eines Mangels unveräußerlich ist.
Die hier geltend gemachten Schadenersatzansprüche fallen nicht darunter.
Nachbesserungskosten / andere Schadensbeseitigung (4.1.2.3)
Bei der Nachbesserung geht es um Maßnahmen, die der Behebung des Mangels am Endprodukt dienen und das Endprodukt noch retten, sodass es nicht verworfen oder mit Preisnachlass verkauft werden muss. Bei den „anderen Schadensbeseitigungen“ geht es um jene Fälle, in denen das Endprodukt nicht mehr ordnungsgemäß hergestellt werden kann, aber eine Ausweichlösung zur Weiterverwertung des Gesamtprodukts möglich ist.
Versichert sind die Nachbesserungskosten von Hersteller und Lieferanten, die in der Produktionskette dem Versicherungsnehmer nachfolgen, um ihr fehlerhaftes Endprodukt wieder verkaufsfähig zu machen, nicht gemeint ist die Nacherfüllung der vom Versicherungsnehmer mangelhaft gelieferten Produkte, weil diese Kosten als Erfüllungssurrogat nicht versichert sind (Maitz aaO 298 iVm 292 f). Die Nachbesserung hat nicht an dem vom Versicherungsnehmer gelieferten Produkt, sondern an der durch Weiterbe- oder Weiterverarbeitung entstandenen Sache zu erfolgen.
Nach Art 7.1 AHVB fallen unter die Versicherung gemäß Abs 1 nicht: Ansprüche aus Gewährleistung für Mängel (Art 7.1.1) sowie die Erfüllung von Verträgen und die an die Stelle der Erfüllung tretende Ersatzleistung (Art 7.1.3).
Das Spritzen der Pflanzen mit dem Pflanzenschutzmittel diente offenkundig dem Versuch der Behebung des Mangels durch Beseitigung des Pilzes. Dabei handelt es sich somit um Aufwendungen zur Verbesserung der Produkte des VN; der dafür von der Abnehmerin geltend gemachte Personal- und Materialaufwand ist daher nicht gedeckt.
Schadensminderungsmaßnahmen
Die von der Abnehmerin zur Minimierung allfälliger Umsatzeinbußen gesetzten Schadensminderungsmaßnahmen (Setzen, Binden und Tauschen) stehen im Zusammenhang mit den neuen – die mangelhaften Produkte des VN – ersetzenden Pflanzen. Bei den dafür aufgewendeten Kosten handelt es sich somit weder um nutzlose Herstellungskosten nach Abschnitt A, Z 2, Pkt 4.1.2.1 EHVB noch um Nachbesserungskosten iSd Abschnitt A, Z 2, Pkt 4.1.2.3 EHVB, weil keine Nachbesserungsarbeiten am Endprodukt (ausgewachsene Pflanze samt Früchte) gesetzt wurden, sondern um Erfüllungssurrogate.
Fehlersuchkosten
Die Fehlersuchkosten (AGES-Analyse) stellen nicht versicherte Kosten der vorbereitenden Maßnahmen, die zur Mängelbehebung erforderlich sind, dar. Auch können sie unter keinem der genannten Tatbestände des Abschnitts A, Z 2, Pkt 4.1.2 EHVB subsumiert werden.
Vermögensnachteil aus Unveräußerlichkeit (4.1.2.2)
Führt die Mangelhaftigkeit des gelieferten Produkts zur Unveräußerlichkeit des Endprodukts, so ersetzt der Versicherer den weiteren Vermögensnachteil durch entgangenen Gewinn.
Der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer, der für die Gemüseproduktion bestimmte Jungpflanzen veräußert, wird die gegenständliche Bestimmung nicht dahin verstehen, dass nur ein auch tatsächlich zustande gekommenes Endprodukt unveräußerlich ist. Vielmehr wird er der Klausel schon wegen der vergleichbaren Zielrichtung das Verständnis unterstellen, dass auch bei einer aufgrund der Mangelhaftigkeit der gelieferten Jungpflanzen gar nicht entstandenen fruchttragenden Pflanze Unveräußerlichkeit des Endprodukts gegeben ist. Einen ihm gegenüber dafür geltend gemachten entgangenen Gewinn wird er daher der hier geregelten Schadensposition unterstellen. Daran ändert auch der folgende Risikoausschluss nichts.
Die Deckungspflicht der Beklagten hinsichtlich des der Kaufpreisforderung der Kläger entgegengehaltenen Anspruchs auf entgangenen Gewinn, ist daher grundsätzlich zu bejahen.