Corona-Schutzmaßnahmen kein Gegenstand des Bucheinsichtsverfahrens
Ob bzw. allenfalls welche öffentlich-rechtlichen Vorschriften bei der Durchführung der Bucheinsicht einzuhalten sind, ist nicht zum Gegenstand des zivilrechtlichen Titels zu machen. Die Spanne von 9:00 Uhr bis 16:00 Uhr kann branchenübergreifend als übliche Bürozeit für die Bucheinsicht angesehen werden.
Die Gesellschaft verweigert einem Gesellschafter die Bucheinsicht. Sie verlangt nämlich für die Bucheinsicht eine schriftlich, notariell beglaubigte Vollmacht des Vertreters sowie einen negativen PCR-Test. Darüber hinaus muss laut Gesellschaft der Mindestabstand zwischen Gesellschafter und seinem Rechtsanwalt bei der Bucheinsicht eingehalten werden. Anscheinend ergibt sich durch diesen Mindestabstand, dass nur eine Person die Bucheinsicht in dem von der Gesellschaft dafür vorgesehenen Raum wahrnehmen kann. Darüber hinaus meint die Gesellschaft, dass die Bucheinsicht vorher angekündigt werden müsse, weil aufgrund der COVID-19-Pandemie kaum Bürobetrieb stattfinde.
Der Gesellschafter stellt einen gerichtlichen Antrag auf Bucheinsicht und begehrt die Bucheinsicht zu den üblichen Geschäftszeiten von 9:00 Uhr bis 16:00 Uhr. Darüber hinaus soll eine Begleitperson zulässig sein, die der beruflichen Verschwiegenheit unterliegt, jedoch keine notariell beglaubigte Vollmacht vorweisen muss und außerdem soll die Bucheinsicht nicht von dem Vorliegen eines PCR-Tests oder eines Mindestabstands abhängig gemacht werden.
Das Erstgericht gab dem Antrag grundsätzlich statt, jedoch beinhaltete der Beschluss nicht die Bedingung, dass kein PCR-Test vorzuliegen habe und kein Mindestabstand einzuhalten sei.
Der Rekurs der Gesellschaft gegen den Beschluss stützte sich insbesondere darauf, dass das Begehren auf Bucheinsicht in den Büroräumen der Gesellschaft und während der Geschäftszeiten zwischen 9:00 Uhr und 16:00 Uhr rechtsmissbräuchlich sei, da der Geschäftszweig der Gesellschaft durch die COVID-19-Schutzmaßnahmen der Regierung total heruntergefahren wurde und das Bucheinsichtsbegehren daher erheblichen wirtschaftlichen Schaden verursache. Eine Bucheinsicht ohne Termin sei daher nicht zulässig. Darüber hinaus sei ein PCR-Test erforderlich, sonst wäre das Recht des Gesellschafters auf Einsichtnahme höher als das Recht des Geschäftsführers auf gesundheitliche Unversehrtheit.
Das OLG Wien als Rekursgericht sah so wie das Erstgericht keinen Rechtsmissbrauch. Die Verweigerung der Bucheinsicht sei nur zulässig, wenn die Informationserteilung einem gesetzlichen Verbot zuwiderläuft oder der Informationsanspruch rechtsmissbräuchlich ausgeübt wird. Rechtsmissbrauch liegt dann, wenn unlautere Motive der Rechtsausübung augenscheinlich im Vordergrund stehen. Die Beweislast dafür trägt die Gesellschaft. Der Verweigerungsgrund setzt sohin Zweierlei voraus: Die Besorgnis, dass der Gesellschafter die Information zu gesellschaftsfremden Zwecken verwendet, und die Besorgnis, dass der Gesellschaft dadurch ein nicht unerheblicher Nachteil zugefügt wird.
Die Bucheinsicht hat grundsätzlich dort zu erfolgen, wo sich die Bücher und Schriften der Gesellschaft bei ordnungsgemäßer Geschäftsführung befinden. Das sind in der Regel die Geschäftsräume der Gesellschaft. Die Spanne von 9:00 Uhr bis 16:00 Uhr kann branchenübergreifend als übliche Bürozeit angesehen werden.
Gegenstand des Bucheinsichtsverfahrens ist die Durchsetzung privatrechtlicher Ansprüche. Ob bzw. allenfalls welche öffentlich-rechtlichen Vorschriften bei der Durchführung der geschuldeten Bucheinsicht einzuhalten sind, ist nicht zum Gegenstand des zivilrechtlichen Titels zu machen. Zutreffend hat daher auch das Erstgericht die im Antrag enthaltene Feststellung, dass von den diesbezüglichen Bedingungen Abstand zu nehmen sei, nicht in seinem Spruch aufgenommen.
Die Gesellschaft kann vom Rechtsvertreter des Gesellschafters keine Vorlage einer notariell beglaubigten Vollmacht verlangen. Bei der Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts besteht keine Verpflichtung zur Errichtung einer schriftlichen Vollmachtsurkunde. Diese kann auch nur mündlich erfolgen. Eine Rechtsgrundlage, die die Gesellschaft berechtigten sollte, vom Gesellschafter die Errichtung der Vollmacht nach strengeren Vorschriften, sei es schriftlich oder überhaupt notariell beglaubigt zu verlangen, besteht nicht.
Vgl auch GES 2021, 397.