Nachwirkung mitgliedschaftlicher Treuepflichten und Abgrenzung zum Wettbewerbsverbot
Gesellschafter treffen gegenüber der Gesellschaft während aufrechter Mitgliedschaft Treuepflichten. Diese enden im Regelfall mit Austritt aus der Gesellschaft. Spezifische Pflichten wirken jedoch nach: Ehemalige Gesellschafter haben es zu unterlassen, konkrete Geschäftschancen der Gesellschaft nach Austritt an sich zu ziehen (Geschäftschancenlehre).
Vorgeschichte
Klägerin ist ein Softwareunternehmen. Der Beklagte war Gesellschafter und Mitarbeiter im Bereich der Projektleitung im Unternehmen tätig. Er hielt einen 49 % Anteil, war aber kein Geschäftsführer. Während seines Dienstverhältnisses war der Beklagte auch Projektleiter für die Softwareentwicklung für eine Gesellschaft (Kundin). Hierüber haben die Kundin und die Klägerin einen Werkvertrag geschlossen. Um die Arbeitsergebnisse zu hinterlegen, wurde unter Nutzung eines Abos der Klägerin ein Account einer cloudbasierten Anwendung erstellt.
Nach Ausscheiden des Beklagten aus der Kläger-Gesellschaft gründete dessen Lebensgefährtin eine neue Gesellschaft, bei der der Beklagte zunächst Angestellter und später 50-prozentiger Gesellschafter wurde. Diese (neue) Gesellschaft wurde für die Kundin der Klägerin tätig. Wie der Kontakt zustande kam, ist strittig. Es sollte die begonnene Softwareentwicklung fortgesetzt werden. Dazu wurde der Account der cloudbasierten Anwendung verwendet.
Die neu gegründete Gesellschaft stellte der Kundin eine Rechnung in der Höhe der zwischen der Klägerin und Kundin vereinbarten Vergütung, welche die Kundin auch beglich.
Spätestens mit einer Information des Betreibers der cloudbasierten Anwendung erhielt die Klägerin Kenntnis davon, dass die neue Gesellschaft mit „ihrer“ Kundin kontrahierte. Die Klägerin forderte die Kundin daher auf, eine Erklärung abzugeben, dass das Vertragsverhältnis zwischen Klägerin und Kundin gekündigt wird und, dass etwaige Gewährleistungsansprüche ausschließlich gegen die neu gegründete Gesellschaft zu richten sind. Dies bestätigte die Kundin auch.
Die Klägerin fordert nun vom Beklagten Schadenersatz in der Höhe von 13.513,00 € wegen eines umgeleiteten Umsatzgeschäftes mit der Kundin.
Vorinstanzen
Das Landgericht wies die Klage als unbegründet ab. Eine Treuepflichtverletzung würde nicht vorliegen, ein Wettbewerbsverbot bestehe für ehemalige Gesellschafter nicht und eine gezielte Abwerbung der Kundin wurde nicht hinreichend bewiesen. Die Klägerin berief gegen diese Entscheidung.
OLG Naumburg
Das OLG Naumburg entschied, dass die Berufung zulässig ist und auch in der Sache Erfolg haben muss: Der Beklagte hafte der Klägerin wegen Verletzung der mitgliedschaftlichen (nicht [!] organschaftlichen – der Beklagte war kein Geschäftsführer der Klägerin) Treuepflicht. Diese verletzte er zumindest fahrlässig.
Allgemein im Gesellschaftsrecht anerkannt ist, dass den Gesellschafter eine mitgliedschaftliche Treuepflicht (jedenfalls vertikal im Verhältnis Gesellschaft – Gesellschafter) trifft. Diese endet grundsätzlich mit Ausscheiden aus der Gesellschaft. Dennoch bestehen auch nachwirkende Treue-, Unterlassungs- und Loyalitätspflichten. Insbesondere darf der Gesellschafter konkrete Geschäftschancen der GmbH nicht auf sich oder Dritte, an denen er beteiligt ist, umleiten.
Diese „Treuepflicht der Geschäftschance“ ist vom Wettbewerbsverbot abzugrenzen und eine eigenständige Ausprägung der Treuepflicht:
- Wettbewerbsverbot: Dieses wird oftmals vertraglich vereinbart und umfasst sämtliche Geschäftschancen im Bereich, in dem die GmbH tätig ist. Eine Nachwirkung ist idR nur unter finanziellem Ausgleich zulässig.
- Geschäftschancenlehre: Diese umfasst nur die Pflicht der Unterlassung der Wahrnehmung einer geschäftlichen Chance, die bereits in bestimmter Art und Weise konkretisiert der GmbH zuzurechnen ist.
Die Voraussetzungen der Geschäftschancenlehre sah das OLG im konkreten Fall als erfüllt an. Es kommt auch nicht darauf an, wer den Kontakt zwischen Beklagten und Kundin initiiert hat: Selbst wenn die Kundin den Beklagten nach seinem Ausscheiden aus der klagenden Gesellschaft als federführenden Mitarbeiter der neuen Gesellschaft kontaktiert hätte, hätte der Beklagte zumindest die Kundin über seine Loyalitätspflichten gegenüber der Klägerin informieren müssen und überdies auch die Klägerin. Dieser wäre nämlich der Vorrang bei der Abwicklung des Geschäftes einzuräumen.
Der Beklagte verletzte somit seine (nachwirkende) mitgliedschaftliche Treuepflicht und leitete eine Geschäftschance der Klägerin zu sich (bzw einem verbundenem Unternehmen) um. Die Klageforderung bestand daher zu Recht.
Rechtslage in Österreich
Auch in Österreich wird von der herrschenden Lehre angenommen, dass den Gesellschafter Treuepflichten gegenüber der Gesellschaft treffen und, dass diese auch eine Nachwirkung besitzen (vgl zu „normalen“ zivilrechtlichen Verträgen auch RS0119485). Demnach besteht ein Verbot zur Überleitung von bereits der GmbH zuzuordnenden (bloßen) Geschäftschancen auch in Österreich (Geschäftschancenlehre; vgl Aicher/S.-F. Kraus/Spendel in Straube/Ratka/Rauter, WK GmbHG § 61 Rz 33 [Stand 1.12.2022, rdb.at]). Vergleiche die vom OGH hierzu aufgestellten engen Voraussetzungen (etwa „kein Wettbewerbsverbot für geschäftsführende Alleingesellschafter“; sowie zu den Geschäftschancen: „Das Überlassen von Geschäftschancen unterliegt dann dem Verbot der Einlagenrückgewähr, wenn sich die Erwerbschancen soweit verdichtet haben, dass ihr ein Marktwert zukommt, also ein Dritter für die Übertragung der „Geschäftschance“ ein Entgelt zahlen würde.“) in einer bereits ergangenen Entscheidung (6 Ob 71/21s) sowie unseren Blog-Beitrag hierzu.
Blog-Beitrag gemeinsam erstellt mit Paul Moik.