Treuwidrige Abberufung eines Aufsichtsratsmitglieds
Die Abberufung eines dem Mitgesellschafter zugehörigen Aufsichtsratsmitglieds verstößt gegen die Treuepflicht, wenn dadurch bezweckt werden soll, den langjährigen Geschäftspartner zu entmachten und auszubooten.
Sachverhalt
An der beklagten d**** GmbH sind die Klägerin, eine Schweizer Aktiengesellschaft mit 32% (vormals P****) sowie die Nebenintervenientin, eine österreichische GmbH mit 68% beteiligt. Die Klägerin gehört zum S****-Konzern. Die Nebenintervenientin zum d****-Konzern.
d**** und S**** kooperieren seit Anfang der 1980er Jahre und hatten als damaliges Ziel, d**** Drogeriemärkte in Österreich zu etablieren.
d und S schlossen eine Grundsatzvereinbarung dahingehend, dass eine Beteiligungsstruktur von 32% bzw. 68% festgelegt wurde. Weiters sollte ein Aufsichtsrat mit vier Kapitalvertretern eingerichtet werden, wovon zwei von d**** und einer von S**** entsendet werden. Ein viertes Aufsichtsratsmitglied soll durch die Generalversammlung gewählt, aufgrund des abgeschlossenen Syndikatsvertrages aber gemeinsam bestellt werden. Die Beschickung des Aufsichtsrates wurde sowohl im Gesellschaftsvertrag als auch im Syndikatsvertrag festgeschrieben, wobei zum damaligen Zeitpunkt noch nicht die Klägerin selbst Gesellschafterin war, sondern eine ihrem Konzern zugehörige Gesellschaft P****. Der Gesellschaftsvertrag und der Syndikatsvertrag hielten fest, dass zwei Aufsichtsratsmitglieder durch die Nebenintervenientin entsendet werden und ein Aufsichtsratsmitglied durch P****.
In den Jahren 2001 und 2003 wurde das Aufsichtsratsmitglied G**** D**** von P**** in den Aufsichtsrat entsendet. 2004 kam es zu Umstrukturierungen im S****-Konzern wodurch neue Gesellschafterin statt P**** zuerst B**** und dann die Klägerin wurde.
Das Gericht konnte nicht feststellen, dass das Entsendungsrecht der P**** durch Anteilsübertragung innerhalb des S****-Konzerns auf die übernehmende Gesellschaft übergehen soll. Weiters konnte nicht festgestellt werden, dass die Nebenintervenientin vor der Umstrukturierung dieser zugestimmt habe bzw. dass die Nebenintervenientin 2004 bereit gewesen wäre, das beim Entsendungsrecht im GmbH-Vertrag statt P**** nun die Klägerin aufscheint.
Die Nebenintervenientin akzeptierte in den Jahren 2007, 2011 und 2015 die Entsendung von G**** D**** durch die Klägerin in den Aufsichtsrat.
Die Zusammenarbeit der Klägerin und der Nebenintervenientin verlief von 1981 bis 2017 im Wesentlichen friktionsfrei.
Ab 2014 erwog die Nebenintervenientin ein Kundenbindungsprogramm zu implementieren. G**** D**** als Vertreter des S****-Konzerns war jedoch dagegen. G**** D**** stellte 2017 fest, dass die Geschäftsführer bereits einen Letter of Intent über das Kundenbindungsprogramm abgeschlossen hatten. G**** D**** wollte daraufhin die Befassung des Aufsichtsrates mit diesem Thema.
Die Nebenintervenientin ließ prüfen, ob die Klägerin überhaupt ein Entsendungsrecht in den Aufsichtsrat hat. Es wurden außerdem mehrere Gutachten von unterschiedlicher Seite über die Frage eingeholt, ob die Implementierung des Kundenbindungsprogramm ein zustimmungspflichtiges Geschäft ist oder nicht. Die Gutachten kamen zu unterschiedlichen Ergebnissen.
Die Nebenintervenientin berief in einer Generalversammlung Ende 2017 G**** D**** als Aufsichtsratsmitglied ab und beschloss die Implementierung des Kundenbindungsprogramms.
Aus diesem Sachverhalt stellten sich insbesondere folgende Fragen:
- Ist das Entsendungsrecht der Klägerin immer noch aufrecht?
- Erfolgte die Abberufung von G**** D**** als Aufsichtsratsmitglied treuwidrig?
Entsendungsrecht
Der OGH kam gegenständlich zum Schluss, dass der Klägerin kein Entsendungsrecht in den Aufsichtsrat zusteht. Nach § 30c Abs 1 GmbHG kann der Gesellschaftsvertrag bestimmten Gesellschaftern oder den jeweiligen Inhabern bestimmter Geschäftsanteile das Recht einräumen, Mitglieder in den Aufsichtsrat zu entsenden. Das Entsendungsrecht kann nur den Inhabern solcher Geschäftsanteile eingeräumt werden, deren Übertragung an die Zustimmung der Gesellschaft gebunden ist. § 30c GmbHG unterscheidet somit beim Entsendungsrecht zwischen Gesellschaftsvertrag namentlich genannten Gesellschaftern und Inhabern bestimmter Geschäftsanteile, bei welchen die Geschäftsanteile vinkuliert sein müssen. Gegenständlich waren die Geschäftsanteile der Beklagten nicht vinkuliert, weshalb es sich bei dem im Gesellschaftsvertrag geregelten Entsendungsrechte um Höchstpersönliche handelt. Solche höchstpersönlichen Entsendungsrechte sind unübertragbar und erlöschen mit dem Verlust der Gesellschafterstellung.
Die Frage, ob ein höchstpersönliches Recht durch Gesamtrechtsnachfolge übertragen werden kann, konnte gegenständlich offengelassen werden, da es hier gegenständlich zu einer Einzelrechtsnachfolge und keiner Gesamtrechtsnachfolge kam. Gegenständlich liegen auch keine hinreichenden Gründe vor, § 30c Abs 2 GmbHG analog auf Fälle anzuwenden, in denen der Geschäftsanteil zwar nicht vinkuliert ist, aber der Gesellschafterwechsel konzernintern stattfindet.
Für die Abberufung von G**** D**** als Aufsichtsratsmitglied wäre nach § 30c GmbHG daher lediglich die einfache Mehrheit erforderlich.
Interessant ist, dass der OGH die Abberufung des entsendeten Aufsichtsratsmitglieds zunächst einmal unter dem Gesichtspunkt der (absoluten) Unwirksamkeit untersucht, dann aber das aufrechte Bestehen des Entsendungsrechts verneint, und sich erst dann der Treuwidrigkeit zuwendet. Dies passt nicht zu der Judikatur, wonach die Abberufung eines aufgrund eines Sonderrechtes entsendeten Geschäftsführers ohne Zustimmung des Entsendungsberechtigten nur anfechtbar und nicht absolut unwirksam ist (vgl. zuletzt 6 Ob 38/21p).
Der OGH hat außerdem die Frage offen gelassen, ob die Klägerin von der Nebenintervenientin aus Treuepflichterwägungen die Einräumung eines (neuen) Entsendungsrechtes im Gesellschaftsvertrag verlangen kann. Dies könnte angemessen sein, zumal der Verlust des Entsendungsrechtes durch die Klägerin nicht bewusst entschieden wurde und die gegnerischen Nebenintervenienten mehr als 13 Jahre lang nicht auf die Idee gekommen ist, dass das Entsendungsrecht weggefallen ist (vgl. auch Aufsichtsrat aktuell 2021, 125).
Abberufung treuwidrig
Der OGH hat jedoch festgestellt, dass die Abberufung von G**** D**** treuwidrig erfolgte und damit anfechtbar ist.
Kooperative Satzungsbestandteile sind nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich objektiv nach ihrem Wortlaut und Zweck in ihrem systematischen Zusammenhang auszulegen. Ein Entsendungsrecht für den Aufsichtsrat stellt einen korporativen Satzungsbestandteil dar. Jüngst hat der erkennende Senat jedoch ausgesprochen, dass eine objektive Auslegung durchaus auch berücksichtigen kann, welches Interesse mit einer Regelung verfolgt wird (vgl. 6 Ob 57/19d).
Werden berechtigte Interessen Dritter nicht beeinträchtigt und ist die einverständlich in der Annahme ihrer Satzungskonformität praktizierte Handhabung bei objektiver Ausgliederung nicht gedeckt, so kann eine Berufung auf den Satzungswortlaut treuwidrig und missbräuchlich sein.
Bei der Zweimanngesellschaft sind die Rücksichtsnahmepflichten noch stärker ausgeprägt. Gegenständlich wurde dem Minderheitsgesellschafter durch ein Entsendungsrecht faktisch ein Vetorecht für zustimmungspflichtige Geschäfte eingeräumt. Die Nebenintervenientin hat 13 Jahre lang zu erkennen gegeben, von einem Entsendungsrecht der Klägerin für den Aufsichtsrat auszugehen. Durch diese langjährige Übung hat die Nebenintervenientin einen Vertrauenstatbestand dahingehend geschaffen, das tatsächlich nicht bestehende Entsendungsrecht der Klägerin anzuerkennen. Die Gesellschafter der Beklagten hatten fast 36 Jahre lang im Wesentlichen friktionsfrei zusammengearbeitet. Dies änderte sich erst im Laufe des Jahres 2017 ab dem grundlegenden Meinungsverschieden über die Implementierung des Kundenbindungsprogramms. Die Nebenintervenientin begann nach juristischen Mitteln und Wegen zu suchen, wie sie die Klägerin entmachten und ausbooten könnte. So geht man jedoch laut OGH mit einem langjährigen Geschäftspartner, mit dem man nicht nur durch einen detaillierten Gesellschaftsvertrag, sondern auch durch einen Syndikatsvertrag verbunden ist, nicht um. Die Abberufung von G**** D**** als Aufsichtsratsmitglied erfolgte daher treuwidrig und wurde daher vom OGH für nichtig erklärt.
Weiters stellte der OGH fest, dass G**** D**** unbefristet als Aufsichtsratsmitglied bestellt ist, die in den Jahren 2007, 2011 und 2015 vorgenommene Entsendung von G**** D**** durch die Klägerin mit zeitlicher Befristung hatte mangels Entsendungsrecht keine Wirkung. Es blieb daher die im Jahr 2001 erfolgte unbefristete Entsendung aufrecht.
Fazit
Der OGH verstärkte diese Entscheidung nicht nur die Treuepflichten bei langjährigen Geschäftsbeziehungen, sondern lockert auch seine Ansicht zur objektiven Auslegung von Gesellschaftsverträgen.