Entmachtung durch Bezugsrechtsausschluss
Der Verlust der Sperrminorität eines Gesellschafters durch den Ausschluss vom Bezugsrecht zeigt das Potenzial gesellschaftsrechtlicher Mechanismen, die Machtverteilung innerhalb einer Gesellschaft zu verändern.
Sachverhalt
Oleg Deripaska, russischer Oligarch und – über seine Firma MKAO Rasperia Trading – langjähriger Gesellschafter des österreichischen Baukonzerns Strabag SE (SE bedeutet Societas Europaea = Europäische Aktiengesellschaft), entwickelte sich für seine österreichischen Mitgesellschafter aufgrund der im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg gegen ihn verhängten Sanktionen zunehmend zum Problem.
Um Schaden von der Gesellschaft abzuwenden, schlossen ihn seine Mitaktionäre zunächst von der Teilnahme an den Hauptversammlungen aus und entzogen ihm damit sämtliche Mitspracherechte mit der Begründung, dass er durch die Sanktionen kein Anrecht mehr auf Entscheidungsbefugnisse habe.
In einem strategischen Zug zur weiteren Entmachtung Deripaskas wurde im Juni 2023 in der Hauptversammlung eine Kapitalerhöhung durch Sacheinlagen gemäß §§ 150 AktG beschlossen. Die Aktionäre der Strabag bekamen die Option, eine Ausschüttung, anstatt in Form einer Geldzahlung in Form von neuen Aktien zu beziehen und somit ihren eigenen Anteil zu erhöhen. Deripaska hingegen wurde vom Bezugsrecht ausgeschlossen und sein Anteil an der Ausschüttung wurde – den Sanktionen entsprechend – auf einem eingefrorenen Konto geparkt. Die meisten Aktionäre entschieden sich für den Aktienbezug, weswegen der Anteil von Oleg Deripaska von 27,8% auf 24,1% gesenkt werden konnte, womit seine Beteiligung unter die Schwelle der Sperrminorität fiel, welche bei 25% liegt. Unter einer Sperrminorität versteht man dabei jenen Anteil am Kapital einer Gesellschaft, der zwar unter der Hälfte liegt, jedoch ausreicht, um bestimmte wichtige Beschlüsse in einer Gesellschaft zu blockieren, was meistens bei einer Beteiligung im Ausmaß von 25% gegeben ist.
Gegen die Beschlüsse der Hauptversammlung richtet sich die auf § 195 Abs 1 und 2 AktG gestützte Anfechtungsklage der Klägerin, MKAO Rasperia Trading. Ein Beschluss kann angefochten werden, wenn er ein Gesetz oder die Satzung verletzt (§ 195 Abs 1 AktG) bzw. wenn mit dem Beschluss ein unzulässiger Sondervorteil für einzelne Aktionäre oder Gruppen verfolgt wird (§ 195 Abs 2 AktG).
Die Gesellschaft von Oleg Deripaska behauptet, die Kapitalmaßnahmen würden ihre Aktionärsrechte in einer Weise beeinträchtigen, die nicht wiedergutzumachende Schäden verursachen könnte. Insbesondere befürchtet sie den Verlust ihrer Sperrminorität, was ihre Einflussmöglichkeiten in der Gesellschaft erheblich beschränken würde.
Zur Sicherung ihrer Macht in der Gesellschaft und zur Abwendung eines drohenden, unwiederbringlichen Schadens und beantragte sie eine einstweilige Verfügung. In Bezug auf den drohenden Schaden der eigenen Gesellschaft stützte die Klägerin ihren Antrag auf § 381 Z 2 EO, in Bezug auf den Schaden der Strabag auf § 42 Abs 4 GmbHG. (Im Aktiengesetz gibt es keine direkte Regelung für die Abwendung eines drohenden Schadens der Gesellschaft, weswegen die Klägerin eine analoge Anwendung des§ 42 Abs 4 GmbHG wünschte.)
Dies wurde mit der Notwendigkeit begründet, dass im Fall einer erfolgreichen Beschlussanfechtung eine Rückführung in den vorigen Stand nicht adäquat geleistet werden könne. Zudem sei ein Verlust von Herrschaftsrechten nicht in Geld messbar und durch das Einfrieren des auf sie entfallenden Ausschüttungsbetrags werde ein Teil ihres Vermögens entzogen, was zu einer dauerhaften Einschränkung führen würde.
Mit Blick auf den drohenden Schaden der Strabag wurde argumentiert, dass mit der Ausschüttung an die Klägerin der Gesellschaft Vermögen entzogen werde.
Entscheidung der Unterinstanzen
Das Erstgericht wies den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung ab. Es verneinte den Nachweis eines unwiederbringlichen Schadens, der durch die Vollziehung der Kapitalmaßnahmen entstehen würde. Aufgrund der Sanktionen könne die Antragstellerin ihre Aktionärsrechte ohnehin nicht wahrnehmen, insbesondere weder ein allfälliges Bezugsrecht ausüben, noch Aktien verkaufen. Eine Aufschiebung der Wirksamkeit der angefochtenen Beschlüsse würde im vorliegenden Fall nach Abwägung der gegenseitigen Interessen einen überwiegenden wirtschaftlichen Nachteil für die Gesellschaft darstellen.
Das zweitinstanzliche Gericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts.
Entscheidung des OGH
Der Oberste Gerichtshof bestätigte die Entscheidungen der Unterinstanzen. Er stellte zunächst klar, dass sich für Europäische Aktiengesellschaften die Anfechtung von Beschlüssen nach §§ 195 ff AktG richtet, da Art 9 Abs 1 lit c der Verordnung über die Europäische Aktiengesellschaft (SE) darauf verweist.
Die Antragstellerin stützte ihren Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung auf § 381 Z 2 EO und § 42 Abs 2 GmbHG (analog):
- 42 Abs 2 GmbHG setzt voraus, dass der Gesellschaft (Strabag) ein unwiederbringlicher Nachteil droht.
- 381 Z 2 EO setzt voraus, dass der Klägerin (Deripaska) ein unwiederbringlicher Schaden droht.
Zum Schaden der Strabag argumentierte der OGH, dass nicht jeder Vermögensabfluss automatisch ein Schaden der Gesellschaft ist, da sonst auch jede Dividendenauszahlung ein solcher Schaden wäre. Die Klägerin zeigte kein schlüssiges Argument auf, warum dieser Nachteil nicht durch Rückzahlung oder Schadenersatz ausgeglichen werden kann. Daher wurde auf eine Prüfung der analogen Anwendung von § 42 Abs 4 GmbHG verzichtet.
Zum Schaden der Antragstellerin erkannte der OGH an, dass die Kapitalmaßnahmen zu einer Verwässerung der Anteile der Antragstellerin und damit zum Verlust ihrer Sperrminorität führen könnten. Gleichzeitig betonte er jedoch, dass diese Maßnahmen rückgängig gemacht werden könnten, falls die Antragstellerin im Hauptverfahren obsiegen sollte. Auch zum behaupteten Wertverlust der Aktien stellte der OGH fest, dass dieser nur vorübergehend wäre und im Falle eines Obsiegens der Antragstellerin im Hauptverfahren wieder ausgeglichen werden könnte. Die Antragstellerin brachte vor, dass der Verlust ihrer Sperrminorität einen nicht in Geld messbaren Verlust von Herrschaftsrechten darstellen würde. Der OGH widersprach dem und stellte klar, dass ein solcher Verlust keinen unwiederbringlichen Schaden darstellt, da die Kapitalmaßnahmen rückgängig gemacht werden könnten. Im Ergebnis bestätigte der OGH somit die Auffassung der Vorinstanzen, dass die Antragstellerin keinen unwiederbringlichen Schaden glaubhaft machen konnte, der die Erlassung einer einstweiligen Verfügung rechtfertigen würde.
Praktische Relevanz
Es bleibt abzuwarten, wie das Hauptverfahren ausgehen wird. Falls die Gerichte der Klage nicht stattgeben, ergeben sich für die Praxis folgende Überlegungen:
Der Bezugsrechtsausschluss eines einzelnen Gesellschafters stellt eher eine Ausnahme dar und unterliegt strengen rechtlichen Anforderungen. Vom Prinzip der – einen Grundpfeiler des Aktienrechts bildenden – Gleichbehandlung aller Aktionäre, darf nur aufgrund einer besonderen sachlichen Rechtfertigung abgewichen werden. Der Bezugsrechtsausschluss muss im Interesse der Gesellschaft und nicht (nur) jenem einzelner Aktionäre liegen, zur Erreichung des verfolgten Zwecks erforderlich sein und zudem einer Prüfung der Verhältnismäßigkeit standhalten. Zulässig ist ein Bezugsrechtsausschluss etwa bei der Beteiligung eines Investors, dem Ausgleich rechnerischer Spitzen, im Rahmen der Börsenzulassung oder – wie im behandelten Fall – aufgrund von Vorgaben durch die Sanktionsordnung (Nagele/Lux in Artmann/Karollus, AktG III6 § 153). Unzulässig ist ein Bezugsrechtsausschlusses dagegen zum ausschließlichen Zwecke, gewissen Aktionären zu Mehrheitspositionen zu verhelfen. (Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2 § 153 Rz 128)
Insgesamt zeigt sich somit, dass ein Bezugsrechtsausschluss das Potential hat, die Machtverhältnisse in einer Gesellschaft zu verschieben, allerdings verhindern die strengen Anforderungen eine hohe Praxistauglichkeit dieser Maßnahme zur Veränderung des Einflusses einzelner Aktionäre.
Blog-Beitrag gemeinsam erstellt mit Leon Eggenfellner