Beschlussanfechtung: Geschäftsführerabberufung, Rechtsschutzinteresse und Prozessvertreter
In der Entscheidung des OLG Wien werden im Rahmen eines Beschlussanfechtungsverfahrens drei Fragestellungen behandelt: 1. Wie kann die freie Abberufbarkeit des Geschäftsführers durch Gesellschafts- oder Syndikatsvertrag wirksam eingeschränkt werden? 2. Inwieweit wirkt ein Vergleich sich in einem separaten Gerichtsverfahren auf das Rechtsschutzinteresse bei einer Beschlussanfechtungsklage aus? 3. Kann ein Prozessvertreter für die Geltendmachung eines Ersatzanspruches gegen einen Gesellschafter bestellt werden?
Sachverhalt
Die Klägerin ist mit 30 % und X KG mit 70 % an der beklagten GmbH beteiligt. Zu Geschäftsführern der Beklagten wurden NN und PP bestellt. NN ist außerdem Geschäftsführer der X GmbH, die persönlich haftende Gesellschafterin der X KG ist. Somit ist NN auch Geschäftsführer der X KG. PP ist Geschäftsführer der Klägerin.
Zwischen der Klägerin und X KG besteht neben dem Gesellschaftsvertrag eine Gesellschaftervereinbarung.
Außerdem schlossen die Beklagte und die Klägerin einen Dienstleistungsvertrag. Dieser sieht vor, dass die Klägerin unter anderem Geschäftsführungsangelegenheiten der Beklagten übernimmt (Managementvertrag). Im Zusammenhang mit diesem Dienstleistungsvertrag wurde im Rahmen eines separaten Gerichtsverfahrens zwischen Klägerin und Beklagten ein Vergleich geschlossen, welcher unter anderem vorsieht, dass sämtliche wechselseitigen Ansprüche zwischen den Streitteilen verglichen sind, sofern sie sich aus dem Dienstleistungsvertrag ergeben.
In verschiedenen – insgesamt drei – Generalversammlungen der Beklagten wurden folgende Beschlüsse mit den Stimmen der X KG gegen die Stimmen der Klägerin gefasst (die Klägerin gab zu diesen Beschlüssen jeweils ihren Widerspruch zu Protokoll):
- Abberufung des Geschäftsführers PP (mit Ablauf des 31.3.2020) in der Generalversammlung vom 17.12.2019;
- Nochmals: Abberufung des Geschäftsführers PP (mit sofortiger Wirkung) in der Generalversammlung vom 11.2.2020; sowie
- Zustimmung zur Kündigung des zwischen der Beklagten und der Klägerin bestehenden Dienstleistungsvertrags aus wichtigem Grund mit sofortiger Wirkung in der Generalversammlung vom 9.3.2020.
Zudem wurde in einer vierten Generalversammlung vom 21.2.2020 ein Antrag auf Bestellung der Klägerin zur Prozessvertreterin für die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen X KG mit Beschluss abgelehnt, weil X KG mit ihren 70% dagegen gestimmt hat.
Die Klägerin begehrte die Nichtigerklärung dieser in Summe drei Beschlüsse sowie die Feststellung, dass in der vierten Generalversammlung vom 21.2.2020 der Beschluss gefasst wurde, die Klägerin als Prozessvertreterin zu bestellen.
Dazu brachte die Klägerin vor, dass X KG verschiedene Handlungen gesetzt habe, die der Klägerin und der Beklagten schaden würden (vereinbarungswidrig Waren in geschütztes Gebiet der Beklagten geliefert, Verrechnung von überhöhten Einkaufspreisen an die Beklagte, Gründung einer Konkurrenzgesellschaft, Hinderung der Klägerin an Erbringung der ihr übertragenen Dienstleistungen, usw.). Durch diese Schädigungshandlungen habe X KG auf die Übernahme der Beklagten hingearbeitet. PP und die Klägerin hätten versucht, die einseitige Interessensverfolgung der X KG zu verhindern. Als Folge davon habe X KG die angefochtenen Gesellschafterbeschlüsse zum Nachteil der Beklagten gefasst, teilweise unter Missachtung ihres Stimmverbotes gemäß § 39 Abs 4 GmbHG, teilweise durch treuwidrige Stimmabgabe in Zusammenhang mit den geschilderten Schädigungshandlungen sowie aufgrund von Verstößen gegen den Gesellschaftsvertrag, die Gesellschaftervereinbarung und den Dienstleistungsvertrag.
Erste Instanz
Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab, und zwar mit der Begründung, dass kein Sachverhalt festgestellt habe werden können, der als treuwidrige Stimmabgabe zu qualifizieren wäre. Zudem könne die Klägerin selbst X KG direkt auf Schadenersatz in Anspruch nehmen, wenn X KG durch ein pflichtwidriges Verhalten schuldhaft einen Schaden verursacht habe. Die Anfechtungsklage sei daher mangels Rechtsschutzinteresses nicht zulässig. Ein Rechtsschutzinteresse sei auch in Bezug auf die Beschlussanfechtung der Zustimmung zur Kündigung des Dienstleistungsvertrages weggefallen, weil die Streitteile darüber in einem separaten Verfahren einen Generalvergleich abgeschlossen hätten.
Zweite Instanz (OLG Wien)
1. Anfechtung der Abbestellungsbeschlüsse des Geschäftsführers
Vorab: Ein GmbH-Geschäftsführer kann grundsätzlich jederzeit durch Gesellschafterbeschluss mit einfacher Mehrheit abberufen werden (Grundsatz der freien Abberufbarkeit). Im Gesellschaftsvertrag können die Mehrheitserfordernisse zur Bestellung bzw. Abberufung von Geschäftsführern erhöht werden. Gesellschafter-Geschäftsführer können ihre Abberufung überdies erschweren, indem sie im Gesellschaftsvertrag entweder ein Sonderrecht auf Geschäftsführung vereinbaren, oder die Zulässigkeit der Abberufung auf wichtige Gründe beschränken.
Die Klägerin behauptet in ihrer Berufung, dass aus dem Gesellschaftsvertrag, der Gesellschaftervereinbarung und dem Dienstleistungsvertrag besondere Treuepflichten resultierten, welche X KG durch Abberufung des Geschäftsführers PP und Kündigung des Dienstleistungsvertrags verletzt habe. Damit seien der Klägerin die ihr mit diesen Vereinbarungen übertragenen Geschäftsführungsaufgaben entzogen worden. Außerdem lege der Gesellschaftsvertrag für eine wirksame Beschlussfassung in Geschäftsführerangelegenheiten eine 75-%ige Mehrheit der abgegebenen Stimmen fest, die bei den angefochtenen Beschlussfassungen aber nicht erreicht worden sei.
Das OLG Wien entgegnete, dass das Erfordernis einer 75-%igen Mehrheit im Gesellschaftsvertrag sich nur auf die Festlegung, Änderung und Aufhebung der Geschäftsordnung für die Geschäftsführer und den Abschluss von Geschäftsführerverträgen bezieht, nicht jedoch auf Geschäftsführungsangelegenheiten generell. Damit richtet sich die Abberufung des Geschäftsführers nach den allgemeinen Regeln und bedarf keiner qualifizierten Mehrheit.
In der Regel wirken Syndikatsverträge nur schuldrechtlich zwischen den Parteien und nicht auf Gesellschaftsebene. Die Beklagte ist personalistisch ausgestaltet (nur zwei Gesellschafter). Das hat zur Folge, dass ein Verstoß gegen einen von allen Gesellschaftern abgeschlossenen Syndikatsvertrag unter Umständen einen Anfechtungsgrund (der Abberufungsbeschlüsse) darstellen könnte.
Die Gesellschaftervereinbarung sowie der Dienstleistungsvertrag (abgeschlossen mit der beklagten Gesellschaft und nicht mit X KG) vermögen aber die freie Abberufbarkeit des Geschäftsführers trotz personalistischer Struktur der Beklagten nicht auszuschalten. Es fehlt sowohl in der Gesellschaftervereinbarung als auch im Dienstleistungsvertrag an Bestimmungen, die die Abberufbarkeit auf wichtige Gründe beschränken würden, nach denen im Sinne einer Stimmbindung ein Einvernehmen für eine bestimmte Person als Geschäftsführer hergestellt werden müsse, oder der bestellte Geschäftsführer gegen seinen Willen nicht abberufbar sei. Eine Abberufung mit Mehrheitsbeschluss verletzt daher auch keine allgemeinen Treuepflichten.
Laut OLG Wien schaltet ein Syndikatsvertrag – anders als allfällige Regelungen im Gesellschaftsvertrag – die grundsätzlich freie Abberufbarkeit eines Geschäftsführers nicht aus. Daran ändert auch die personalistische Struktur einer Gesellschaft nichts, wenn der Syndikatsvertrag keine Bestimmungen über das Stimmbindungsverhalten der Gesellschafter bei der Bestellung/Abberufung eines Geschäftsführers enthält (RW0001049).
Praxistipp: Will man als Gesellschafter seinen Einfluss auf die (Fremd-)Geschäftsführung absichern, ist die Vereinbarung eines Entsendungsrechts für die Geschäftsführung im Gesellschaftsvertrag ratsam. Ein Entsendungsrecht berechtigt den jeweiligen Gesellschafter nämlich, ohne weiteres Zutun einen Geschäftsführer zu bestellen.
Bei einem Entsendungsrecht bedarf es im Gegensatz zu einem Nominierungsrecht keiner Beschlussfassung der Generalversammlung für die wirksame Bestellung des Geschäftsführers. Um Auslegungsschwierigkeiten zu vermeiden, ist – wie immer – eine glasklare Formulierung zu empfehlen (siehe dazu: https://www.sfr.at/blog-gesellschafterstreit/geschaeftsfuehrung/entsendungsrecht-oder-nominierungsrecht/).
Von einer Regelung in einem bloßen Syndikatsvertrag oder sonstiger Nebenvereinbarung ist abzusehen.
2. Vergleich und Rechtsschutzinteresse
Ob X KG den Dienstleistungsvertrag an sich durch treuwidrige Stimmabgabe gekündigt hat, kann laut OLG Wien dahingestellt bleiben, weil die Streitteile darüber in einem Parallelverfahren einen rechtswirksamen Vergleich geschlossen haben.
Laut OLG Wien sind Beschlussstreitigkeiten nach §§ 41 ff GmbHG vergleichsfähig. Dies wird mit der Rechtsprechung zur Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelstreitigkeiten begründet (vgl RS0045318[T5]). Voraussetzung für die Schiedsfähigkeit ist nach dieser Rechtsprechungslinie, dass über den Gegenstand der Schiedsvereinbarung ein Vergleich geschlossen werden kann. Die Beschlussanfechtung bleibt in diesem Punkt laut OLG Wien daher mangels Rechtsschutzinteresses erfolglos (vgl RS0037242).
3. Bestellung eines Prozessvertreters bei Ersatzansprüchen gegen einen Gesellschafter
Die Klägerin stützt ihre Anfechtung des Ablehnungsbeschlusses ihrer Bestellung zur Prozessvertreterin zunächst darauf, dass X KG aufgrund des gegen sie angestrebten Prozesses bei der Abstimmung über die Frage der Prozessvertretung einem Stimmverbot unterlegen sei. Der Ablehnungsbeschluss sei daher schon aus diesem Grund nichtig. Sein wirksames Zustandekommen und damit die Bestellung der Klägerin zur Prozessvertreterin hätte alleine mit den Stimmen der Klägerin festgestellt werden müssen. Selbst wenn kein grundsätzliches Stimmverbot angenommen würde, müsse von der Treuwidrigkeit der Stimmabgabe der X KG ausgegangen werden, weil diese dadurch eine Prozessführung gegen sich habe verhindern wollen.
Zunächst hält das OLG Wien fest, dass gemäß § 35 Abs 1 Z 6 GmbHG der Beschlussfassung der Gesellschafter folgendes obliegt:
- Die Geltendmachung der Ersatzansprüche, die der Gesellschaft gegen die Geschäftsführer, deren Stellvertreter oder den Aufsichtsrat zustehen.
- Die Bestellung eines Vertreters zur Prozessführung (sollten Ersatzansprüche gegen ein Organmitglied geltend gemacht werden), wenn die Gesellschaft dabei weder durch andere Geschäftsführer, noch durch einen Aufsichtsrat vertreten werden kann.
Laut OLG Wien wird in der Lehre teilweise die Ansicht vertreten, dass § 35 Abs 1 Z 6 GmbHG entgegen seinem eigenen Wortlaut auch dann greife, wenn Ersatzansprüche nicht gegen Organe der GmbH, sondern gegen Gesellschafter geltend gemacht werden. Insbesondere Fantur argumentiert (in FS Koppensteiner zum 80. Geburtstag [2016], 93 f), dass auch bei Prozessen gegen Gesellschafter, die nicht Geschäftsführer sind, ein Prozessvertreter zu bestellen sei, wenn eine gemeinsame Pflichtverletzung des Geschäftsführers und eines Gesellschafters vorliege und der Geschäftsführer aus diesem Grund gehindert sei, die Gesellschaft im Prozess zu vertreten.
Fantur (FS Koppensteiner zum 80. Geburtstag [2016], 85 f) empfiehlt Minderheitsgesellschaftern (das war im vorliegenden Fall die Klägerin), die von Mehrheitsgesellschaftern (das war im vorliegenden Fall X KG) in Bezug auf Ersatzansprüche gegen eben diese Mehrheitsgesellschafter überstimmt wurden (unter Missachtung des Stimmverbots), Beschlussanfechtungs- oder Feststellungsklagen zu vermeiden, denn solche Klagen richteten sich nicht gegen die betreffenden Geschäftsführer oder Gesellschafter, sondern gegen die beklagte Gesellschaft, auch wenn in Wahrheit die Minderheit mit ihrem Mehrheitsgesellschafter streite. Der Geschäftsführer oder Gesellschafter, der letztlich in Anspruch genommen werden soll, habe selbst keinen Prozessaufwand, weil diesen die Gesellschaft trage und damit sogar die klagenden Minderheitsgesellschafter wirtschaftlich im Verhältnis ihrer Beteiligung. Eine effektive Anspruchsverfolgung sei nur mit Minderheitenklage nach § 48 GmbHG möglich.
Das OLG Wien stützt sich auf diese Argumentation von Fantur, um sich gegen die Bestellung eines Prozessvertreters bei Ersatzansprüchen gegen einen Gesellschafter auszusprechen. Dabei sind dem OLG Wien folgende Punkte wesentlich: Auf der einen Seite, dass der gegenständliche Streit sich in Wahrheit zwischen X KG (Mehrheitsgesellschafterin) und Klägerin (Minderheitsgesellschafterin) abspielt und, dass bei der Prozessvertretung die Beklagte statt X KG das Prozesskostenrisiko tragen muss. Auf der anderen Seite, dass der Klägerin die Möglichkeit der Erhebung der Minderheitenklage nach § 48 GmbHG offen steht, die auch explizit Ansprüche der Gesellschaft gegen die Gesellschafter erwähnt.
Das OLG Wien interpretiert Fantur bei seiner Lösung aber falsch. Aus dem zitierten Aufsatz von Fantur geht nämlich hervor, dass es sehr wohl zulässig ist, in bestimmten Konstellationen auch für Klagen der Gesellschaft gegen einen Gesellschafter einen Prozessvertreter zu bestellen. Lediglich als Praxistipp und nicht als dogmatisches Argument empfiehlt er dem Minderheitsgesellschafter, direkt die Minderheitenklage anzustrengen, anstatt den Weg über die Beschlussanfechtung zu wählen (siehe dazu: Fantur, https://de.linkedin.com/posts/lukas-fantur_gesellschafterstreit-activity-7157433541180416000-Skqp).
Revision?
Die ordentliche Revision wurde vom OLG Wien zugelassen, einerseits zur Frage, inwieweit durch den Abschluss eines Prozessvergleichs ein Rechtsschutzinteresse fehlt und damit die Anfechtung von Gesellschafterbeschlüssen verhindert, andererseits zur Frage, ob § 35 Abs 1 Z 6 GmbHG sich auch auf Gesellschafterbeschlüsse bezieht, mit denen Ersatzansprüche nicht gegen Organe, sondern gegen Gesellschafter geltend gemacht werden dürfen.
Die Revision wurde von der Klägerin erhoben, allerdings vor einer Entscheidung des OGH leider zurückgezogen (6 Ob 220/23f).
Resümee
Der Ansicht des OLG Wien ist im Hinblick auf
- die Beschränkung der Abberufbarkeit des Geschäftsführers durch Syndikatsvertrag (bzw. sonstige Nebenvereinbarung) sowie
- die Auswirkungen eines Vergleichs auf das Rechtsschutzinteresse bei einer Anfechtungsklage
im Ergebnis zu folgen.
Bei der Ablehnung eines Prozessvertreters für Ersatzansprüche gegen einen Gesellschafter ist dem OLG Wien allerdings zu widersprechen, eine analoge Anwendung des § 35 Abs 1 Z 6 GmbHG wäre durchaus sinnvoll. Fanturfolgend zum Beispiel bei Prozessen gegen Gesellschafter, die nicht Geschäftsführer sind, wenn eine gemeinsame Pflichtverletzung des Geschäftsführers und eines Gesellschafters vorliegt.
Blog Beitrag gemeinsam erstellt mit David Steininger.