Eine Gegenstimme im Schigebiet

Eine Gegenstimme im Schigebiet

Dürfen tiefgreifende Strukturänderungen bei Personengesellschaften einem Mehrheitsbeschluss unterworfen werden, oder ist für solche Strukturänderungen ein einstimmiger Gesellschafterbeschluss erforderlich? Der Oberste Gerichtshof gibt an Hand eines extremen Einzelfalles einen guten Einblick, aber noch keine abschließende Antwort.

Sachverhalt

1967 wurde eine GmbH & Co KG zum Betrieb eines Schigebietes errichtet (Lifte, Jausenstationen usw.). Diese GmbH & Co KG hat eine Komplementärin (Komplementär-GmbH), welche im Gesellschaftsvertrag immer als die Komplementärin bezeichnet wird, und mehr als 200 Kommanditisten (vgl. nachstehendes Organigramm). Einige Kommanditisten sind auch Gesellschafter der Komplementär-GmbH. Eine der Kommanditistinnen ist eine Aktiengesellschaft (S-AG).

Aus steuerlichen Gründen und zur Expansion des Unternehmens will sowohl die Mehrheit der Gesellschafter der Komplementär-GmbH als auch die Mehrheit der Kommanditisten der GmbH & Co KG den Betrieb in Form einer Aktiengesellschaft führen. Ein Versuch, das umzusetzen, scheiterte am Widerstand einer Gesellschafterin der GmbH, die gegen die entsprechenden Generalversammlungsbeschlüsse eine Anfechtungsklage einbrachte, die Erfolg hatte.

Nun wurde ein zweiter Versuch gestartet, der kompliziert war, sodass wir ihn etwas vereinfacht darstellen. Der Plan war:

  • Die GmbH & Co KG sollte alle Aktien einer bisher operativ untätigen Aktiengesellschaft erwerben (Vorratsgesellschaft). Dies ist im nachstehenden Organigramm blau eingezeichnet.
  • Die GmbH & Co KG sollte ihren Betrieb des Schigebietes in die Aktiengesellschaft einbringen. Parallel dazu sollte (1) die Satzung der Aktiengesellschaft geändert werden, (2) neue Mitglieder in den Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft gewählt werden und (3) der neue Aufsichtsrat sollte neue Vorstandsmitglieder für die Aktiengesellschaft bestellen. Dies alles ist im nachstehenden Organigramm grün eingezeichnet.
  • S-AG, eine der Kommanditistinnen der GmbH & Co KG, sollte neben der bisherigen Komplementär-GmbH zweite Komplementärin der GmbH & Co KG werden. Dies ist im nachstehenden Organigramm orange eingezeichnet.
  • Die GmbH & Co KG sollte genehmigen, dass im Falle ihrer Auflösung die Auseinandersetzung durch Sachauskehr erfolge. Dies ist im nachstehenden Organigramm violett eingezeichnet. [Unter Sachauskehr versteht man, dass im Falle einer Auflösung einer Gesellschaft diese nicht abgewickelt/liquidiert wird, sondern die Gesellschafter das Gesellschaftsvermögen übernehmen.]

Dieser Plan wurde in Angriff genommen, indem entsprechende Beschlüsse gefasst wurden. Zusätzlich haben die GmbH & Co KG sowie die Aktiengesellschaft den Einbringungsvertrag unterschrieben.

Die dafür erforderlichen Beschlüsse auf Ebene der Komplementär-GmbH und auf Ebene der Kommanditgesellschaft (GmbH & Co KG) sind nicht einstimmig, sondern bloß mehrheitlich gefasst worden. Dazu muss ergänzt werden, dass gemäß Gesellschaftsvertrag der GmbH & Co KG Mehrheitsbeschlüsse zulässig sind. Im Übrigen regelt der Gesellschaftsvertrag der GmbH & Co KG, dass für alle wichtigen Angelegenheiten und für solche Angelegenheiten, die über den Umfang der gewöhnlichen Geschäftsführung hinausgehen, Gesellschafterbeschlüsse erforderlich sind. Als Beispiele führt der Gesellschaftsvertrag an: Genehmigung des Jahresabschlusses, Gewinnverteilung, Wahl des Abschlussprüfers und die Neuaufnahme von Kommanditisten.

Firmenbuchverfahren

Nun haben sowohl die Aktiengesellschaft als auch die GmbH & Co KG je einen Firmenbuchantrag gestellt. Die Aktiengesellschaft beantragte, ihre neue Alleinaktionärin, die Satzungsänderung, die Einbringung und die Änderungen im Aufsichtsrat sowie im Vorstand einzutragen. Die GmbH & Co KG beantragte, ihre zweite Komplementärin (S-AG) und die Einbringung einzutragen. Diese zwei Firmenbuchverfahren wurden verbunden.

Rechtsfrage

Aus der Sicht der Gesellschafter der Komplementär-GmbH und aus Sicht der Kommanditisten der GmbH & Co KG würde bei Genehmigung der beantragten Eintragungen der Betrieb des Schigebietes sich nicht mehr in der GmbH & Co KG befinden, sondern – „einen Stock tiefer“ – in der Aktiengesellschaft. Bei erfolgreicher Umsetzung des gesamten Planes, nämlich der zusätzlichen Auflösung der GmbH & Co KG und Liquidation durch Sachauskehr, würde die GmbH & Co KG wegfallen und deren bisherigen Kommanditisten direkte Aktionäre der Aktiengesellschaft werden. Aus deren Sicht befände der Betrieb sich zwar nicht mehr „einen Stock tiefer“, aber sie wären statt Kommanditisten „nur“ Aktionäre einer Gesellschaft, die den Betrieb innehat.

Daran knüpft sich die Rechtsfrage, ob für das alles auf Ebene der GmbH & Co KG ein Mehrheitsbeschluss reicht, oder eine Einstimmigkeit erforderlich gewesen wäre?

Rechtsprechung

Alle drei Instanzen wiesen die verbundenen Eintragungsbegehren der Aktiengesellschaft und der GmbH & Co KG ab.

Das Erstgericht wies die zwei Eintragungsbegehren mit der Begründung ab, dass bei deren Bewilligung die Kommanditisten der GmbH & Co KG ihre Mitbestimmungsrechte in einem wesentlichen Ausmaß verlieren würden und dafür ein einstimmiger Beschluss notwendig gewesen wäre, weil für Änderungen des Gesellschaftsvertrages, die den materiellen Gehalt der Mitgliedschaft betreffen („Kernbereich“), einstimmige Beschlüsse erforderlich seien.

Das Oberlandesgericht Linz als Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung, weil die Mehrheitsklausel im Gesellschaftsvertrag der GmbH & Co KG zwar „wichtige Angelegenheiten“ und solche Angelegenheiten, „die über den Umfang der gewöhnlichen Geschäftsführung hinausgehen“, umfasse, aber Gesellschaftsvertragsänderungen nicht erwähne. Auf Grund der Vertrauenstheorie würde ein objektiver sowie redlicher Gesellschafter nicht damit rechnen, dass mit den im Gesellschaftsvertrag aufgezählten Beispielen (Genehmigung des Jahresabschlusses, Gewinnverteilung, Wahl des Abschlussprüfers und die Neuaufnahme von Kommanditisten) auch Satzungsänderungen von der Mehrheitsklausel umfasst seien (wie die Aufnahme eines neuen Komplementärs). Überdies werde mit dem beabsichtigten Plan so massiv in die Struktur der GmbH & Co KG eingegriffen, dass diese zu einer leeren Hülle gemacht würde.

Das Rekursgericht erklärte einen ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, weil die höchstgerichtliche Rechtsprechung in den Fragen der Kernbereichslehre noch in Bewegung scheine. Der Oberste Gerichtshof dagegen erklärte den Revisionsrekurs für nicht zulässig.

Zunächst betont der Oberste Gerichtshof, dass es an erster Stelle der Auslegung des Gesellschaftsvertrags bedarf, um festzustellen, ob mit einer Klausel von der grundsätzlich erforderlichen Einstimmigkeit wirksam abgegangen werden dürfe. In der Folge wiederholt der Oberste Gerichtshof einmal mehr, dass bei einer Publikumsgesellschaft der Gesellschaftsvertrag nach seinem Wortlaut und seinem Zweck in seinem systematischen Zusammenhang objektiv auszulegen ist, zumal es bei der verfahrensgegenständlichen GmbH & Co KG schon einen Mitgliederwechsel bei den Kommanditisten gegeben hat (6 Ob 96/20s).

Der Oberste Gerichtshof meint, dass der Bestimmtheitsgrundsatz, wonach Mehrheitsklauseln grundsätzlich eng auszulegen sind und im Zweifel ungewöhnliche Vertragsänderungen nicht erfassen, aufgegeben wurde, wenn Mehrheitsklauseln sich ausdrücklich auf eine Vertragsänderung beziehen (4 Ob 229/07s und 4 Ob 2147/96f). Der Oberste Gerichtshof ergänzt aber, dass auch eine wirksame Mehrheitsklausel inhaltliche Schranken haben kann [zB Gesetz- und Sittenwidrigkeit, Eingriff in den Kernbereich der Mitgliedschaftsrechte oder in Sonderrechte einzelner Gesellschafter, Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatz, usw. (4 Ob 229/07s; RS0107117)].

In der Sache selbst bestätigt der Oberste Gerichtshof zunächst die vom Rekursgericht vertretene

  • Meinung, dass die Aufnahme einer zweiten Komplementärin auf Grund des Gesellschaftsvertrages unzulässig ist, weil dieser ausdrücklich nur die Neuaufnahme von Kommanditisten vorsieht, während die Aufnahme von Komplementären nicht geregelt ist, wobei der Oberste Gerichtshof als zusätzliches Argument anführt, dass der Gesellschaftsvertrag immer nur von der Komplementärin“ spricht (also nicht Plural, sondern Singular),
  • Ansicht, dass die im Gesellschaftsvertrag der GmbH & Co KG verankerte Aufzählung der Beispiele, wofür Mehrheitsbeschlüsse reichen (Genehmigung des Jahresabschlusses, Gewinnverteilung, Wahl des Abschlussprüfers und die Neuaufnahme von Kommanditisten), die Zulässigkeit von Mehrheitsbeschlüssen einschränkt, und
  • Vertrauenstheorie, denn mit dieser Aufzählung wurde den Kommanditisten der GmbH & Co KG umschrieben, was unter wichtigen Angelegenheiten und außergewöhnlichen Geschäftsführungsmaßnahmen zu verstehen ist. Damit war ein „Maßnahmenniveau“ vorgegeben, welches tiefgreifende, die Struktur der Gesellschaft real zerstörende und die Rechte der Kommanditisten empfindlich einschränkende Maßnahmen nicht Angesichts dieser Aufzählung (Angesicht dieses „Maßnahmenniveaus“) musste ein Kommanditist, als er sich der Mehrheitsklausel unterwarf, nicht damit rechnen, dass er sich mit ihr in Bezug auf ungewöhnlich gravierende Gesellschaftsvertragsänderungen der Mehrheit unterwirft.

In der Folge bestärkt der Oberste Gerichtshof die Rekursentscheidung mit zusätzlichen Begründungen beziehungsweise widerlegte die im Revisionsrekurs vorgebrachten Argumente. Dazu die wesentlichen Aussagen des Oberste Gerichtshofes:

  • Der Gesetzgeber hat eine formwechselnde (identitätswahrende) Umwandlung zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften nicht Mit dem beabsichtigten Plan würde aber eine solche Umwandlung faktisch bewirkt, denn die Kommanditisten würden zu mittelbaren Aktionären der Aktiengesellschaft.
  • Wenn man die Sachauskehr sich dazu denkt, die absehbar ist, würden die Kommanditisten direkte Aktionäre der Aktiengesellschaft, es käme also faktisch zu der im Gesetz nicht vorgesehenen Umwandlung von einer Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft.
  • Der bisher einzigen Komplementär-GmbH kommt die Geschäftsführung des Schigebiet-Betriebes und ein umfassendes Kontrollrecht zu (§ 118 UGB). Stellte man der Komplementär-GmbH mit S-AG eine zweite Komplementärin zur Seite, wäre sie, die Komplementär-GmbH, der gemeinsamen Geschäftsführung mit einer zweiten Gesellschaft, der S-AG, ausgesetzt.
  • Auf Maßnahmen des operativen Betriebes, der nunmehr der Aktiengesellschaft obliegen sollte, käme der Komplementär-GmbH kein direkter Einfluss mehr zu, obläge doch dessen Geschäftsführung dann dem Vorstand der Aktiengesellschaft. Das Aktiengesetz billigt Aktionären kein Recht auf Mitwirkung an der Bestellung von Vorstandsmitgliedern, an Geschäftsführungsmaßnahmen oder an der Feststellung des Jahresabschlusses zu. Auskunftsrechte kommen dem Aktionär nur in der Hauptversammlung zu und nur, soweit die Auskunft zur sachgemäßen Beurteilung eines Tagesordnungspunkts überhaupt erforderlich ist (§ 118 AktG).
  • Die Gesellschafter der Komplementär-GmbH haben ein Weisungsrecht gegenüber dem Geschäftsführer und damit die Lenkung des operativen Betriebes weitgehend in der Hand (§ 20 Abs 1 GmbHG). Dieses Weisungsrecht der Gesellschafter der Komplementär-GmbH würde sich nur mehr auf Maßnahmen im Rahmen der Beteiligung der GmbH & Co KG an der Aktiengesellschaft beziehen, also auf die Ausübung der Stimmrechte in der Hauptversammlung der Aktiengesellschaft.
  • Die Kommanditisten der GmbH & Co KG haben Rechte, wie zum Beispiel die Richtigkeit des Jahresabschlusses unter Einsicht der Bücher und Schriften zu prüfen, ein außerordentliches Kontrollrecht, wenn dafür wichtige Gründe vorliegen, usw. (§ 166 Abs 1 und 3 UGB).
  • Alle die in den letzten bullet points aufgezählten Einflussmöglichkeiten gingen mit dem beabsichtigten Plan verloren.
  • Das Argument des Revisionsrekurses, es liege keine Änderung des Unternehmensgegenstands der GmbH & Co KG vor, weil das Halten und Verwalten von Beteiligungen bereits bisher in deren Unternehmensgegenstand enthalten waren, lässt der Oberste Gerichtshof nicht gelten und meint, dass mit dem beabsichtigten Plan der operative Betrieb des Schigebietes aufgegeben und sich die GmbH & Co KG von einem operativen Betrieb (mit untergeordneten Beteiligungen an Unternehmen gleicher Art) in eine reine Holding verändern würde.
  • Der vom Revisionsrekurs ins Treffen geführten Unmöglichkeit, bei der Vielzahl von Kommanditisten eine Einstimmigkeit zu erreichen, könnte nach dem Obersten Gerichtshof durch eine Klage auf Zustimmung der nicht zustimmenden Kommanditisten begegnet werden, wenn diese ihre Zustimmung treuwidrig verweigern, obwohl der beabsichtigte Plan für den Betrieb des Schigebietes unumgänglich wäre.

Schließlich setzt der Oberste Gerichtshof sich damit auseinander, ob das alles nur für die GmbH & Co KG gilt, sondern auch für die Aktiengesellschaft. Dazu führt er aus, dass der Aktiengesellschaft durch die Kenntnis ihres Vorstands bekannt war, dass das Handeln der GmbH & Co KG bei Abschluss des Einbringungsvertrages nicht von einer einstimmigen Beschlussfassung gedeckt war. Es war damit für die Aktiengesellschaft als Dritte erkennbar, dass der GmbH & Co KG für den Abschluss des Einbringungsvertrags die Vollmacht fehlte (6 Ob 35/19v). Angesichts des erkennbaren Vollmachtsmissbrauches ist die Aktiengesellschaft nicht schutzwürdig (RS0019576).

Schlussfolgerung

Diese Entscheidung ist natürlich ein extremer Einzelfall, sie ist aber interessant, weil sie sich so liest, als würde der Oberste Gerichtshof bei Personengesellschaften Mehrheitsbeschlüsse für tiefgreifende Strukturänderungen zulassen, wenn sie nur im Gesellschaftsvertrag ausdrücklich erwähnt sind. Ob das tatsächlich so ist, bleibt abzuwarten, denn selbst wenn in einem Gesellschaftsvertrag auch tiefgreifende Strukturänderungen einem Mehrheitsbeschluss so unterworfen werden, dass alle Gesellschafter damit rechnen müssen, dass gegen ihren Willen solche Strukturänderungen durchgezogen werden können, darf das Argument nicht übersehen werden, dass das Gesetz formwechselnde (identitätswahrende) Umwandlungen zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften nicht vorsieht.

Jedenfalls bekräftigt der Oberste Gerichtshof einmal mehr, dass Gesellschaftsverträge – auch jene von Kapitalgesellschaften – so zu formulieren sind, dass allen Gesellschaftern klar ist, womit sie zu rechnen haben (Vertrauenstheorie). Dazu zitieren wir wörtlich aus der Entscheidung 6 Ob 96 /20s: „Es wäre ein Leichtes gewesen, die Klausel entsprechend zu formulieren, sodass allen Gesellschaftern klar gewesen wäre, womit sie zu rechnen haben.

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