Auslegung von Aufgriffsregeln
Aufgriffsrechte sind korporative Satzungsbestandteile und daher objektiv auszulegen. Allerdings kann eine objektive Auslegung durchaus auch berücksichtigen, welches Interesse mit einer Regelung verfolgt wird.
Sachverhalt
Zwischen der Klägerin, eine Gesellschafterin mit 80%, und der Beklagten, eine Gesellschafterin mit 20%, besteht ein Gesellschafterstreit. Die Gesellschaft ist im Bestattungsgewerbe tätig. Der Gesellschaftsvertrag der Gesellschaft sieht Aufgriffsrechte vor. Der erste Aufgriffsfall ist die beabsichtigte Veräußerung des Geschäftsanteils. Der zweite Aufgriffsfalls ist die Änderung des gewerberechtlichen Geschäftsführers.
Die Klägerin behauptet das Vorliegen beider Aufgriffsfälle und klagt auf Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihr den Geschäftsanteil zu übertragen. Die Beklagte hätte einen Veräußerungswillen bekundet. Außerdem habe der gewerberechtliche Geschäftsführer gewechselt und stammt nun aus der Sphäre der Klägerin.
Erster Aufgriffsfall
Im Gesellschaftsvertrag ist der erste Aufgriffsfall wie folgt geregelt:
„Die Gesellschafter räumen sich hiermit unwiderruflich im Fall einer Verfügung über Geschäftsanteile und Teile derselben im Verhältnis ihrer Anteile ein Aufgriffsrecht nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen ein. Das Aufgriffsrecht umfasst alle Fälle der Übertragung von Beteiligungen insbesondere auch Tausch und Schenkung. Der übertragungswillige Gesellschafter hat dem aufgriffsberechtigten Gesellschafter den abzutretenden Geschäftsanteil zum anteiligen Erwerb anzubieten.“
Das Erstgericht hat diesen Aufgriffsfall als nicht verwirklicht angesehen. Aufgriffsrechte sind als korporative Satzungsbestandteile objektiv auszulegen. Bereits der Übertragungswille des Gesellschafters löst den Aufgriffsfall aus. Dieser muss jedoch hinreichend qualifiziert sein. Dies lag gegenständlich nicht vor. Diese Entscheidung wurde von beiden Instanzen bestätigt.
Zweiter Aufgriffsfall
Der zweite Aufgriffsfall war wie folgt geregelt:
„Weiters hat der Beklagte seinen gesamten Geschäftsanteil zum Aufgriff gemäß den Bestimmungen dieses Abschnittes anzubieten, wenn Herr A. B. (entsendet von dem Beklagten) die Position des gewerberechtlichen Geschäftsführers bei der GmbH nicht mehr ausübt und von dem Beklagten kein gleichwertiger Ersatz innerhalb der gewerberechtlichen Neubestellungsfrist gestellt wird.“
Au einem Sideletter zwischen dem Kläger und dem Beklagten war ersichtlich, dass der Kläger über keinen gewerberechtlichen Geschäftsführer für das Gewerbe Bestattung verfügt und der Beklagte daher dafür sorgen muss, damit die Gesellschaft weiter tätig sein kann.
Das Erstgericht sah diesen Aufgriffsfall als verwirklicht an und gab dem Klagebegehren statt. A. B. sei nicht mehr gewerberechtlicher Geschäftsführer und der neue Geschäftsführer kam von Klägerseite.
Das Berufungsgericht (OLG Wien, 129 R 121/18i) änderte die Entscheidung auf eine Klagsabweisung ab und führte aus, dass auch dieser Aufgriffsfall nicht verwirklicht sei. Richtig sei, dass A. B. nicht mehr gewerberechtlicher Geschäftsführer sei, aber der Beklagte sei seiner Verpflichtung zur Stellung eines gleichwertigen Ersatzes nachgekommen, da ein neuer Geschäftsführer im Einvernehmen der Gesellschaft gewerberechtlicher Geschäftsführer wurde. Die Bestimmung sei nicht so auszulegen, dass der Geschäftsführer alleine vom Beklagten gestellt werden muss.
Der OGH wies die ao. Revision zurück und bestätigt somit die Entscheidung des OLG Wien. Aufgriffsregeln sind korporative Satzungsbestandteile und daher objektiv nach Wortlaut und Zweck in ihrem systematischen Zusammenhang auszulegen. Die objektive Auslegung kann aber auch berücksichtigen, welches Interesse mit einer Regelung verfolgt wird.
Sinn und Zweck der Regelung sei, eine funktionierende Gesellschaft und die Sicherstellung der Kooperation der Gesellschafter. Aus dem Sideletter sei ersichtlich, dass der Beklagte dafür Sorge tragen muss, dass die Gesellschaft als Bestattungsunternehmen einen gewerberechtlichen Geschäftsführer hat. Da der Kläger über einen solchen nicht verfügt, oblag es dem Beklagten, dafür Sorge zu tragen, dass ein gewerberechtlicher Geschäftsführer vorhanden ist. Der Beklagte hat einen ausreichenden Ersatz gestellt, auch wenn der neue gewerbliche Geschäftsführer nun doch aus der Sphäre des Klägers kommt. Die Funktion der Gesellschaft war daher nie gefährdet.