Notariatsakt: Verlesung erforderlich, gleichzeitige Anwesenheit nicht, Parteiwille entscheidend
Bei notarieller Bekräftigung einer Privaturkunde steht das Unterbleiben der Vorlesung iSd § 52 NO dem Zustandekommen eines formgültigen Notariatsakts entgegen. Bei Verletzung der Formvorschrift nach § 76 Abs 2 GmbHG hinsichtlich eines auf Parteikonsens basierenden wesentlichen Vertragsbestandteils ist die gesamte Optionsvereinbarung ungültig.
Sachverhalt
Eine Gesellschaft hatte fünf Gesellschafter. Aufgrund einer Call-Option und Ausübungserklärungen wurden sämtliche Geschäftsanteile von drei Gesellschaftern (den späteren Rechtsmittelwerbern) sowie ein Teil des Geschäftsanteils des vierten Gesellschafters auf den fünften Gesellschafter übertragen. Das Erstgericht bewilligte die begehrte Eintragung.
Entscheidung des Rekursgericht (32 Fr 784/21x des OLG Linz)
Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts (und somit die gültige Abtretung).
Ein Unterbleiben der „Vorlesung“ iSd § 52 NO führe gemäß § 68 Abs 1 lit f NO nicht zur Unwirksamkeit des Notariatsakts, sondern nur ein unterbliebener Hinweis auf diese am Schluss des Notariatsakts, wobei der Hinweis im gegenständlichen Fall erfolgt sei.
Es schade auch nicht, dass bei der Errichtung der Notariatsakte die Parteien nicht bis zur Unterfertigung gleichzeitig anwesend gewesen seien, da dies nicht mit Unwirksamkeit sanktioniert ist.
Auch die dritte Argumentation der Rechtsmittelwerber, nämlich dass einige einvernehmlich vorgesehenen Voraussetzungen der Abtretung (Verletzung der Sponsoringverpflichtung, Abtretungsnotwendigkeit infolge FIFA/UEFA Regularien, unerwünschte erbrechtliche Rechtsnachfolge) missachtet wurden und deshalb die Abtretung ungültig sei, wies das Rekursgericht ab: Die behaupteten Bedingungen für die Ausübung der Option sind in den Verträgen nicht erwähnt. Ein abweichender natürlicher Konsens sei nicht vom Notariatsakt gedeckt.
Die Ausübungserklärung sei auch nicht deshalb ungültig, weil das Optionsrecht zwei Berechtigten gegenüber eingeräumt, aber nur von einem ausgeübt worden sei. Im vorliegenden Fall ergebe sich kein Wahlrecht der Optionsverpflichteten. Die Rechtslage sei vielmehr mit § 892 ABGB zu vergleichen, wonach jeder Gläubiger ohne Zustimmung der Übrigen die gesamte Leistung verlangen könne und das Innenverhältnis der Mitgläubiger deren Sache bleibe.
OGH-Entscheidung
Der OGH lies den Revisionsrekurs zu, da das Rekursgericht von der Rechtsprechung des OGH zu den Folgen einer Verletzung von Formvorschriften eines Notariatsakts abgewichen ist.
Zum Unterbleiben der „Vorlesung“ iSd § 52 NO
Der OGH hat bereits in früheren Entscheidungen (2 Ob 13/18b; 6 Ob 20/20i) bestätigt, dass bei notarieller Bekräftigung einer Privaturkunde nach § 54 NO nur scheinbar eine Ausnahme von § 68 Abs 1 lit e und f NO liegt, weil die Urkunde durch die Mantelung ergänzender Bestandteil des Notariatsakts wird (§ 54 Abs 3 NO) und daher als solcher ebenfalls zu verlesen ist. Werden diese Förmlichkeiten nicht eingehalten, liegt kein formgültiger Notariatsakt vor. Wurde die Privaturkunde, der der Inhalt des Geschäfts zu entnehmen ist, den Parteien nicht vorgelesen, ist der Notariatsakt ungültig.
Durch des in § 68 Abs 1 lit f NO geregelten Solennitätsverlusts gibt es keinen Grund zwischen der „Anführung“ als bloßem Formalerfordernis und der eigentlichen Verlesung zu differenzieren. Vielmehr wird durch diese Bestimmung der tatsächlich erfolgten Verlesung besonderes Gewicht eingeräumt. Dagegen spricht auch nicht, dass andere in § 68 Abs 1 NO nicht genannte Verstöße gegen § 52 NO, wie etwa eine Verletzung der Belehrungspflicht (9 Ob 82/04f) oder der Pflicht zur gleichzeitigen Anwesenheit der Parteien, die Wirksamkeit des Notariatsakts grundsätzlich unberührt lassen.
Zur fehlenden gleichzeitigen Anwesenheit
Grundsätzlich müssen gemäß § 52 NO alle angeführten Vertragsparteien bei Errichtung und Unterfertigung anwesend sein. Eine abweichende Vorgangsweise schadet jedoch nicht: Eine fehlende gleichzeitige Anwesenheit der Vertragsparteien bei Errichtung des Notariatsakts bewirkt nicht den Verlust der Kraft einer öffentlichen Urkunde.
Zur Verletzung der Formvorschrift
Übertragung von Geschäftsanteilen bedürfen der Formpflicht (§ 76 Abs 2 GmbHG). Die Verletzung dieser Formvorschrift hat die Ungültigkeit des Geschäfts zur Folge. Nebenabreden sind nicht formpflichtig. Wesentliche Vertragsbestandteile sind formpflichtig.
Das Rekursgericht hat richtig entschieden, dass die von den Rechtsmittelwerbern behaupteten Bedingungen als wesentlicher Bestandteil zu qualifizieren sind. So ist auch dieser Teil der Vereinbarung von der Notariatsaktpflicht erfasst. Das bedeutet aber nicht, dass die Optionsvereinbarung ohne die behaupteten Bedingungen zustande gekommen wäre. Vertragsinhalt ist nämlich, was die Parteien gewollt haben. Nach der Andeutungstheorie, deren Reichweite durch den Formzweck begrenzt wird, ist zu prüfen, ob der Parteiwille auch formgültig und daher rechtswirksam erklärt wurde.
Mangels eines die wesentlichen Vertragsbestandteile enthaltenen Notariatsakts wäre in diesem Fall somit die gesamte Optionsvereinbarung wegen Verletzung der Formvorschrift des § 76 Abs 2 GmbHG ungültig.
Zur gemeinsamen Ausübung der Option
Einer gemeinsamen Ausübung der Option durch die Berechtigten bedurfte es aufgrund der in den Optionsverträgen vorhandenen, klarer Regelung – aufgrund welcher eine weitere Erklärung des zweiten Optionsberechtigten nicht vorgesehen ist – nicht. Die von der Judikatur entwickelte Regel, dass ein Vorkaufsrecht als Unterfall einer Option im Zweifel von allen Berechtigten gemeinsam auszuüben sei, gilt somit in diesem Fall nicht.
Entscheidung
Der OGH gab dem Revisionsrekurs statt und wies die Sache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Insbesondere soll im fortgesetzten Verfahren vor dem Erstgericht festgestellt werden, ob der Notariatsakt über die Optionsvereinbarung tatsächlich verlesen wurde und ob die Parteien der Optionsvereinbarung die von den Rechtsmittelwerbern behaupteten Voraussetzungen für die Ausübung der Option vereinbart haben, so dass der diesbezügliche Notariatsakt alle wesentlichen Vertragsbestandteile enthält.
Fazit
1. Damit ein Notariatsakt formgültig zustande kommt, muss dieser verlesen werden.
2. Eine fehlende gleichzeitige Anwesenheit der Vertragsparteien einer Optionsvereinbarung bei Errichtung des Notariatsakts bewirkt nicht den Verlust der Kraft einer öffentlichen Urkunde und damit die Wirksamkeit des Geschäfts.
3. Der Parteiwille ist entscheidend für den Vertragsinhalt. Nach der Andeutungstheorie ist zu prüfen, ob und inwieweit der Parteiwille formgültig (und somit rechtswirksam) erklärt wurde. Ergeht ein wesentlicher Bestandteil nicht in Form eines Notariatsakts, ist die gesamte Vereinbarung wegen Verletzung der Formvorschrift des § 76 Abs 2 GmbHG ungültig.
Vgl. auch 6 Ob 108/22h: Der Oberste Gerichtshof billigte bereits in der Entscheidung 6 Ob 49/11s ausdrücklich (§ 510 Abs 3 S 2 ZPO) die Ansicht, dass bei einer Verletzung der notariellen Belehrungspflicht der Notariatsakt vollauf wirksam bleibe.