
MwSt-Pflicht für das Entgelt für nicht erbrachte Bauleistungen
Der Betrag, der gemäß § 1168 Abs 1 S 1 geschuldet wird, weil der Werkempfänger einen wirksam geschlossenen Werkvertrag trotz Beginn der Ausführung und Bereitschaft des Werkunternehmers den Vertrag auszuführen, beendet hat, gilt als Entgelt für eine Dienstleistung gegen Entgelt im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie. Er unterliegt somit der MwSt.
Sachverhalt
Ausgangspunkt des Rechtsstreites war ein zwischen einer Immobiliengesellschaft und einer Baugesellschaft abgeschlossener Werkvertrag. Die Immobiliengesellschaft beauftragte die Baugesellschaft damit, ein bestehendes Palais an der Wiener Ringstraße umzubauen. Verrechnet werden sollten hierfür knapp 5,4 Mio € inklusive knapp 900.000 € Mehrwertsteuer (MwSt).
Nach Abschluss des Werkvertrages im März 2018 begannen die Bauarbeiten umgehend. Im Juni 2018, also bereits nachdem erste Bau- und Projektleistungen durchgeführt wurden, beendete die Werkbestellerin den Werkvertrag aus nicht von der Baugesellschaft zu vertretenden Gründen.
Im Dezember 2018 forderte die Werkunternehmerin von der Werkbestellerin die Zahlung des vereinbarten Betrages abzüglich der Aufwendungen, die sie sich wegen der ungerechtfertigten Beendigung erspart hatte. § 1168 Abs 1 S 1 ABGB sieht nämlich für den Fall, dass die Werkleistung nicht aus Gründen, die aus der Sphäre des Werkunternehmers stammen, endgültig unterbleibt, einen Anspruch auf das vereinbarte Entgelt vor. Der Werkunternehmer muss sich nur das anrechnen lassen, was er sich durch die Nicht-Ausführung erspart hat, stattdessen erworben hat (etwa in einem anderen Projekt) oder absichtlich zu erwerben versäumt hat.
Da die Werkbestellerin diese Zahlung nicht leistete, klagte die Werkunternehmerin den Betrag ein. Sie forderte knapp 1,55 Mio €. In diesem Betrag war auch die MwSt enthalten. Die Werkbestellerin brachte dazu im Verfahren vor, dass ihr das Geld zustünde, da die Werkbestellerin ungerechtfertigt vom Werkvertrag zurücktrat. Die Werkbestellerin führte hingegen aus, dass nur die Zahlung jenes Betrages verlangt werden könne, die den bereits ausgeführten Arbeiten entspreche.
Instanzen
Das Erstgericht gab der Klage statt und entschied, dass der Betrag, der für die Arbeiten zu zahlen sei, der MwSt unterliege.
Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung dahingehend ab, als dass es entschied, dass der Betrag, der für nicht ausgeführte Arbeiten zu zahlen ist, nicht der MwSt unterliege, da kein Leistungsaustausch stattgefunden habe.
Der Oberste Gerichtshof entschied, dass die Auflösung des Werkvertrages ungerechtfertigt erfolgte und die Werkbestellerin Anspruch auf das vereinbarte Entgelt hat. Zweifel hegte das Gericht jedoch darüber, ob diese Zahlung auch der MwSt unterliegt, da die Baugesellschaft nicht mehr verpflichtet sei, die ausstehenden Leistungen zu erbringen und damit kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der erhaltenen Gegenleistung und der erbrachten Leistung bestehe.
Aufgrund dieser Zweifel setzte der OGH das Verfahren aus und legte folgende Frage zur Vorabentscheidung dem EuGH vor:
Ist Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie in Verbindung mit Art. 73 dieser Richtlinie dahin auszulegen, dass der Betrag, den ein Werkbesteller dem Werkunternehmer auch dann schuldet, wenn die (vollständige) Ausführung des Werks unterbleibt, aber der Werkunternehmer zur Leistung bereit war und durch Umstände, die auf Seite des Werkbestellers liegen (zum Beispiel die Abbestellung des Werks), daran gehindert worden ist, der Mehrwertsteuer unterliegt?
Auslegungsergebnis des EuGH
Art 2 Abs 1 lit c der sogenannten Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor, dass „Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaates gegen Entgelt erbringt“, der MwSt unterliegen.
Nach der Rechtsprechung des EuGH wird eine Dienstleistung nur dann gegen Entgelt erbracht, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitig Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für eine dem Leistungsempfänger erbrachte bestimmbare Dienstleistung bildet. Dies ist dann der Fall, wenn zwischen der erbrachten Dienstleistung und dem erhaltenen Gegenwert ein unmittelbarer Zusammenhang besteht (EuGH 11.6.2020, C-43/19).
Was den unmittelbaren Zusammenhang zwischen der dem Leistungsempfänger erbrachten Dienstleistung und dem tatsächlich erhaltenen Gegenwert angeht, hat der EuGH entschieden, dass der Gegenwert des beim Abschluss eines Dienstleistungsvertrags entrichteten Preises in dem Recht des Kunden besteht, in den Genuss der Erfüllung des Vertrages zu kommen und zwar unabhängig davon, ob er dieses Recht auch wahrnimmt. So erbringt der Dienstleister diese Leistung bereits, sobald er den Kunden in die Lage versetzt, diese Leistung in Anspruch zu nehmen.
Aus der Rechtsprechung ergibt sich also, dass ein im Vorhinein festgelegter Betrag, den der Werkunternehmer erhält, wenn der Werkbesteller den Vertrag vorzeitig beendet oder der Vertrag aus Gründen beendet wird, die dem Werkbesteller zuzurechnen sind, als Gegenleistung für eine gegen Entgelt erbrachte Dienstleistung anzusehen ist, sofern der Betrag dem entspricht, was der Werkunternehmer ohne vorzeitige Beendigung erhalten hätte. Als solche unterliegt sie folglich der MwSt.
Dieser Grundsatz muss auch im Ausgangsfall gelten, immerhin wurden bereits Leistungen ausgeführt und der Werkunternehmer war bereit die gesamte Leistung zu erbringen. Der Gegenwert des zu zahlenden Betrages lag also im Anspruch auf Erfüllung des Werkvertrages und zwar auch dann, wenn der Werkbesteller diese Erfüllung nicht wahrnimmt.
Die Vorlagefrage war also dahingehend zu beantworten, dass Art 2 Abs 1 lit c der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass der Betrag, der vertraglich geschuldet wird, weil der Empfänger einer Dienstleistung einen wirksam geschlossenen Vertrag über eine Dienstleistung – deren Ausführung der Dienstleistungserbringer begonnen hatte und zu deren Fertigstellung er bereit war –, beendet hat, als Entgelt für eine Dienstleistung gegen Entgelt im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie anzusehen ist.
Blog-Beitrag gemeinsam erstellt mit Paul Moik.