(Keine) Haftung des Statikers und merkantiler Minderwert bei Immobilien
Eine direkte Haftung eines Statikers, der von einem Bauunternehmer als Subunternehmer beauftragt wurde, scheidet regelmäßig aus. Ein (merkantiler) Minderwert, der trotz sachgerechter Reparatur an einem Gebäude verbleibt, ist ersatzfähig sofern der Mangel nicht geringfügig oder harmlos ist. Eine allgemeine „Bagatellgrenze“ besteht nicht.
Sachverhalt
Der Kläger schloss mit dem Erstbeklagten (ein Bauunternehmen) am 30.8.2012 einen Anwartschaftsvertrag und am 14.3.2013 einen Kauf- und Wohnungseigentumsvertrag über die Errichtung eines Einfamilienwohnhauses ab. Die statischen Berechnungen für den Bau führte ein vom Erstbeklagten beauftragter Subunternehmer (Zweitbeklagter) durch. Dieser Statiker änderte auch die vorgesehene Stärke der Decke von 22 cm auf 20 cm ab.
Nach Übergabe des Objektes traten nicht normgemäße Risse an den Wänden auf. Ursache waren zu dünn ausgeführte Decken. Die Ursache der Risse kann nur durch das Aufkleben von CFK-Lamellen (kohlenstofffaserverstärkte Kunststoff-Bänder, die auf Wänden bzw Decken angebracht werden) behoben werden. Die Kosten für die Sanierung betragen 20.000 €.
Der Verkehrswert der Liegenschaft beträgt 660.000 €. Durch die Sanierung ist davon auszugehen, dass potentielle (zukünftige) Käufer wegen der Mängel ein „psychologisches Unbehagen“ haben, das sich in einem merkantilen Minderwert in Höhe von 26.000 € niederschlägt. Der merkantile Minderwert ist ein Begriff der eigentlich aus Beschädigungen von KFZ entstammt: Es handelt sich um die Wertminderung, die ein KFZ infolge eines Unfalles trotz einwandfreier Reparatur erlitten hat, da die Unfallfolgen erfahrungsgemäß nicht übersehbar sind („Unfallfahrzeug“).
Vorinstanzen
Das Erstgericht verurteilte die Beklagten zur ungeteilten Hand dem Kläger 26.000 € an merkantilem Minderwert zu ersetzen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Erstbeklagten nicht statt. Jener des Zweitbeklagten hingegen schon: Es wies ihm gegenüber die Haftung für den merkantilen Minderwert ab. Gleichzeitig ließ das Berufungsgericht die Revision an den OGH zu, da die Frage, ob der Subunternehmer auch deliktisch hafte, wenn der Bauherr im Zeitpunkt der Planung bzw Leistung noch gar nicht in seinem Eigentum verletzt wurde (zum Planungs- und Bauzeitpunkt war der Kläger nur Anwartschaftsberechtigter und nicht Eigentümer) über den Einzelfall hinaus Bedeutung hat.
Oberster Gerichtshof
Themenkreis „Haftung des Statikers“
Der OGH stellte zunächst fest, dass es sich beim Statiker um einen Sachverständigen im Sinne des § 1299 ABGB handelt. Eine Ersatzpflicht des Sachverständigen beschränkt sich nach §§ 1299 f ABGB grundsätzlich auf den aus dem Vertrag Berechtigten (das ist in der Regel der Auftraggeber; RS0026234; RS0026645).
Eine Haftung gegenüber einem Dritten (wie in diesem Fall gegenüber dem späteren Erwerber des Hauses) kommt nur in Betracht, wenn die objektiv-rechtlichen Schutzwirkungen auf ihn zu erstrecken sind (RS0026234 [T13]). Das ist insbesondere der Fall, wenn der Sachverständige damit rechnen musste, dass der Dritte auf Basis des Gutachtens Dispositionen tätigen wird. An sich wäre daher eine (direkte) Haftung des Statikers gegenüber dem Kläger denkbar.
Nach ständiger Rechtsprechung besteht ein derartiger Anspruch jedoch nur dann gegenüber dem Sachverständigen, wenn der Dritte nicht bereits Ansprüche auf Schadenersatz gegenüber seinem Vertragspartner hat (in diesem Fall Kläger gegenüber Bauunternehmen; RS0026234 [T4]). Der OGH hat deshalb bereits mehrfach einen Durchgriff auf den vom Generalunternehmer als Subunternehmer beauftragten Statiker abgelehnt (1 Ob 232/05g; 3 Ob 71/97f; ua). Die Ansicht des Berufungsgerichtes, dass deshalb keine Haftung des Zweitbeklagten gegenüber dem Kläger besteht, entspricht daher der ständigen Rechtsprechung.
Neben der Haftung aus § 1299 ABGB kommt überdies eine deliktische Haftung (mangels Vertrag zwischen Statiker und Kläger) des Statikers in Betracht (Haftung des Erfüllungsgehilfen gegenüber dem Vertragspartner des Geschäftsherrn). Für diese (deliktische) Haftung bedarf es jedoch entweder der Verletzung eines Schutzgesetzes (RS0022656) oder eines Eingriffes in ein absolut geschütztes Rechtsgut (RS0022946) des Geschädigten.
Der Kläger behauptete in § 13 ZTG 1993 (nun § 11 ZTG 2019) ein Schutzgesetz zu erblicken. Diese Vorschrift regelt grosso modo, dass Ziviltechniker die Pflichten seines Berufes gewissenhaft erfüllen muss (Eid). Ob diese Vorschrift ein Schutzgesetz darstellt, ließ der OGH jedoch offen, da der Kläger keine genaueren Ausführungen machte.
Zur Frage, ob ein Eingriff in ein absolut geschütztes Rechtsgut (in diesem Fall insbesondere das Eigentum) des Klägers vorliegt, führte der OGH aus, dass der Kläger im Zeitpunkt der Planung bzw des Baues noch kein Eigentumsrecht an der Liegenschaft (bzw Gebäude) hatte. Die erfolgte Anmerkung der Zusage der Einräumung des Wohnungseigentums (dies wird gemacht um „Doppelverkäufe“ bzw Belastungen zulasten des zukünftigen Eigentümers zu vermeiden) vermittelt kein Eigentumsrecht. Der Kläger wurde daher nur in seinem Anspruch auf Mangelfreiheit des Werkes verletzt, was kein absolut geschütztes Recht ist (RS0023106).
Zum Zeitpunkt der Planung war der Kläger daher noch nicht Träger von absolut geschützten Rechten. Überdies wurde keine Verletzung eines Schutzgesetzes (substantiiert) behauptet, weswegen eine (deliktische) Haftung des Statikers ausgeschlossen ist.
Themenkreis „merkantiler Minderwert“
Der merkantile Minderwert ist laut dem OGH ein positiver Schaden, der neben den Kosten der Reparatur zu ersetzen ist (RS0031205). Dieser Minderwert wird aus der Differenz zwischen dem Zeitwert im Schadenszeitpunkt und im reparierten Zustand berechnet (RS0030366). Ein solcher merkantiler Minderwert ist auch bei Liegenschaften ersatzfähig, da ein potentielles Käuferpublikum eine gefühlsmäßige Abneigung gegenüber reparierten Sachen hat (RS0109556; RS0031205 [T3]). Ob es tatsächlich zu einem Verkauf bzw Reparatur kommt, ist dabei grundsätzlich irrelevant (RS0030378; RS0030400). Ganz geringe, harmlose Schäden führen jedoch in der Regel zu keiner merkantilen Wertminderung (RS0031166).
Die Erstbeklagte zieht diese Grundsätze nicht in Zweifel. Sie argumentiert jedoch, – gestützt auf deutsche Literatur bzw Judikatur – dass erst von einer Wertminderung ausgegangen werden kann, wenn die Kosten der Reparatur 10 % des Marktwertes vor Schadenseintritt erreichen („Bagatellgrenze“).
Dieser Argumentation folgte der OGH nicht. Er führte aus, dass die Erstbeklagte übersieht, dass auch in Deutschland die „Bagatellgrenze“ oft darunter gezogen wurde. Das Abstellen auf die Reparaturkosten ist grundsätzlich einfach und leicht zu handhaben. Umstände des Einzelfalles werden dabei aber unberücksichtigt gelassen und überdies würde damit ein fragwürdiges Ergebnis erzielt werden: Derselbe (reparaturbedürftige) Schaden würde bei einer teuren, neuwertigen Liegenschaft zu keiner Wertminderung führen und bei einer älteren, geringwertigeren zu einer. Die „Bagatellgrenze“ kann somit nur zur Orientierung dienen.
Der OGH schloss sich der Meinung der Vorinstanzen an, dass in diesem Fall kein harmloser, geringer Schaden vorliegen würde, da es sich bei den Mängeln um tragende Teile bzw die Statik handelt. Ein Ersatz des merkantilen Minderwertes (durch das Bauunternehmen) ist daher angebracht – insbesondere, weil die Verwertbarkeit durch die Schäden und die Reparatur beeinträchtigt ist.
Blog-Beitrag gemeinsam erstellt mit Paul Moik.