Haftung bei fehlendem FI-Schalter – Zugleich ein Überblick über Adaptierungs- und Erhaltungspflichten im Baurecht
Bauwerke müssen im Zustand der seinerzeitigen Bewilligung erhalten werden. Eine Durchbrechung dieses Grundsatzes sah die Wiener BauO vor. Bei elektrischen Anlagen gilt Ähnliches: Diese müssen bei Errichtung den aktuellen Sicherheitsvorschriften entsprechen. Ändern sich diese, muss keine Adaptierung vorgenommen werden – außer die Anlage wird wesentlich geändert oder erweitert.
Sachverhalt
Ausgangspunkt des Rechtsstreites war ein Sicherungskasten: Die Klägerin (Mieterin) berührte eine Sicherung in dem im Stiegenhaus befindlichen Sicherungskasten ihrer Wohnung und erlitt durch einen Stromschlag gesundheitliche Einschränkungen. Ein Fehlerstrom-Schutzschalter (FI-Schalter) war nicht vorhanden. Dieser hätte die durch den Stromschlag erlittenen Verletzungen zum Teil oder gänzlich verhindert.
Die Klägerin forderte nun vom Beklagten, dem Vermieter, Mietzinsminderung (§ 1096 ABGB) und Schmerzengeld. Die Wohnung sei an sie ohne Schutz im Sinne des Elektrotechnikgesetz 1992 und ohne FI-Schalter, der nach § 7a ETV 2002 (nun § 7 ETV 2020) verpflichtend vorhanden sein müsste übergeben worden und überdies besteht keine geeignete Dokumentation über die Sicherheit der elektrischen Anlage. Der Vermieter könne sich nur durch den Beweis, dass die Anlage nicht gefährlich gewesen sei, entlasten. Zwar wurde im Mietvertrag § 1096 ABGB, der auch die Mietzinsminderung regelt ausdrücklich ausgeschlossen, ein solcher Ausschluss sei aber im MRG-Teilanwendungsbereich, dem das Mietverhältnis unterliegt, unzulässig.
Der Vermieter entgegnete, ihm fehle es an der Passivlegitimation. Der Sicherungskasten befindet sich nicht in der Wohnung der Mieterin, sondern im Stiegenhaus. Deshalb sei die Wohnungseigentümergemeinschaft für die Erhaltung verantwortlich. Überdies wurde § 1096 ABGB ausgeschlossen und eine Anzeige der Mieterin, die Voraussetzung für die Mietzinsminderung ist, erfolgte nicht.
Vorinstanzen
Das Erstgericht sprach aus, dass das Klagebegehren zu Recht besteht. Der Vermieter hätte die Sicherungsanlage in einen den Bestimmungen der Elektrotechnikverordnung (§ 7a ETV 2002; § 7 ETV 2020) entsprechenden Zustand versetzen und Dokumentationen darüber an die Vermieterin übermitteln müssen. Überdies ist der ex ante Ausschluss des Mietzinsminderungsrechtes (§ 1096 ABGB) ungültig.
Der gegen diese Entscheidung erhobenen Berufung gab das Berufungsgericht nicht Folge und bestätigte im Wesentlichen das erstinstanzliche Urteil.
Oberster Gerichtshof
Der OGH sprach aus, dass die Revision zwar zulässig, aber nicht berechtigt ist. Der Vermieter ist jedenfalls passivlegitimiert: Die elektrische Anlage des Mietobjektes muss sich in einem brauchbaren Zustand befinden, was auch das Hantieren an der Sicherung einschließt. Ob sich der Stromkasten im Mietobjekt oder im Stiegenhaus befindet ist dabei unerheblich. Der Beweis, dass keine Gefahr von der Elektroanlage ausgeht ist dem Vermieter nicht gelungen.
Auch ist eine vorangegangene Anzeige des Mangels zur Geltendmachung von Mietzinsminderungsansprüchen genau dann nicht notwendig, wenn der Mieter unverschuldet keine Kenntnis über den Mangel hat, der den Gebrauch des Mietgegenstandes objektiv beeinträchtigt (5 Ob 176/23b).
Der Mieterin steht somit im konkreten Fall Mietzinsminderung von Beginn des Mietverhältnisses unabhängig von einer Anzeige zu.
Konnex zum Baurecht
Vorliegende Entscheidung klärt nicht nur, wann eine Anzeige eines Mangels zur Geltendmachung von Mietzinsminderungsansprüchen notwendig ist, sondern wirft auch baurechtliche Implikationen auf. Insbesondere stellt sich die Frage wer, wann und in welchem Ausmaß Bauwerke bzw insbesondere Elektroanlagen in welchem Zustand versetzen und erhalten muss.
Für Bauwerke gilt im Allgemeinen der Grundsatz, dass diese nur im seinerzeitigen bewilligten Zustand („Baukonsens“) erhalten werden müssen. Abweichungen von diesem Grundsatz bestehen (bzw bestanden) zum Teil in spezifischen Gesetzen: So sah die Wiener BauO vor, dass Bauaufträge die zur Instandsetzung eines Bauwerkes zur Behebung eines Baugebrechens ergehen diese grundsätzlich nach dem aktuellen „Stand der Technik“ vorzuschreiben haben (§ 129 Abs 4 Satz 2 Wiener BauO alte Fassung). Das Abweichen vom statischen Baukonsens wurde in der Lehre durchaus kritisiert. Mit der Wiener Bauordnungsnovelle 2023 wurde dieser Passus („Stand der Technik“) jedoch aus dem Gesetz entfernt (§ 129 Abs 4 Satz 2 Wiener BauO). Es ist also wohl davon auszugehen, dass der Grundsatz, dass Bauwerke in dem Zustand erhalten werden müssen wie sie seinerzeit genehmigt wurden, wiederhergestellt ist.
Die Ansicht, dass Bauwerke nur im seinerzeitig bewilligten Zustand erhalten werden müssen sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass etwa bei Unfällen trotz „Baukonsens“ eine straf- oder zivilrechtliche Haftung droht. Als Beispiel zu nennen ist ein tödlicher Treppensturz an einer Treppe ohne Handlauf: Mag dieser Handlauf baurechtlich zwar im Zeitpunkt der Bewilligung nicht vorgeschrieben gewesen sein und wird dieser Zustand „Baukonsens-Konform“ erhalten, kann dies dennoch eine strafrechtliche Haftung des Eigentümers oder Verwalters wegen fahrlässiger Tötung aufgrund Unterlassens des Montierens von Handläufen auslösen (vgl 11 Os 35/98: anzumerken ist aber, dass diese Entscheidung vereinzelt geblieben ist; s dazu auch ausführlich Oppel, Haftung trotz konsensgemäßen Bauzustands, ZVB 2021/17).
Bei Elektroanlagen kann darauf verwiesen werden, dass diese grundsätzlich dem ETG 1992 (Elektrotechnikgesetz 1992) und den begleitenden Verordnungen entsprechen müssen. Bestehende elektrische Anlagen, die den Sicherheitsvorschriften im Zeitpunkt ihrer Errichtung entsprochen haben, müssen grundsätzlich nicht an geänderte Regelungen im ETG und seinen VO angepasst und umgebaut werden (Bestandschutz; § 4 Abs 1 ETG 1992).
Anderes gilt jedoch dann, wenn an den Anlagen wesentliche Änderungen und Erweiterungen durchgeführt werden: Diesfalls sind die bestehenden Anlagen an die aktuellen Sicherheitsvorschriften anzupassen (§ 6 Abs 1 ETG 1992). Damit soll wohl intendiert werden, dass im Zuge von Umbau- und Adaptierungsarbeiten der Stand der Technik auch bei veralteten Anlagen umgesetzt wird und somit sukzessive auch alle alten Anlagen den neuesten Sicherheitsstandards entsprechen bzw umgerüstet werden.
Für die Vermietung von Wohnungen in sogenannter Hauptmiete (§ 2 Abs 1 MRG) gilt zusätzlich § 7 ETV 2020 (Elektrotechnikverordnung 2020, davor § 7a ETV 2002). Demnach müssen die elektrischen Anlagen einerseits dem ETG 1992 entsprechen und andererseits ist bei Anlagen, die in Steckdosenstromkreisen über keinen zusätzlichen Schutz (Zusatzschutz) gemäß § 2 Abs 2 ETG 1992 verfügen ein Einbau mindestens eines Fehlerstrom-Schutzschalters (FI-Schalter) mit einem Nennfehlerstrom von nicht mehr als 30 mA unmittelbar vor den in der Wohnung befindlichen Leitungsschutzeinrichtungen, verpflichtend.
Unstrittig ist, dass diese Vorschrift auf Mietverhältnisse anzuwenden ist, die ab dem 13.7.2010 geschlossen wurden. Fraglich ist jedoch ob das Mietverhältnis unter Anwendung von § 1096 ABGB der im Teilanwendungs- und Vollausnahmebereich gilt, eine Durchbrechung des Bestandschutzes des § 6 Abs 1 ETG 1992 (siehe oben) bewirkt und somit die Pflicht des Vermieters auslöst auch bei Wohnungen, über die vor diesem Zeitpunkt ein Mietverhältnis begründet wurde eine Adaptierung vorzunehmen (etwa Einbau FI-Schalter).
Teile der Lehre bejahen die Adaptierungspflicht. Zutreffenderweise sollte jedoch der Ansicht gefolgt werden, dass keine Adaptierungspflicht besteht: § 4 ETG 1992 der den Bestandschutz normiert würde sonst somit ausgehebelt werden.
Auch eine Adaptierungspflicht, ausgelöst durch § 3 Abs 2 Z 4 MRG, der im Vollanwendungsbereich gilt und bestimmt, dass die Erhaltungspflicht des Vermieters auch „Neueinführungen oder Umgestaltungen, die kraft öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen vorzunehmen sind“ umfasst wird abgelehnt (5 Ob 180/18h). § 7a ETV sehe keine öffentlich-rechtliche Pflicht vor.
Resümee
Festzuhalten ist, dass Bauwerke im Allgemeinen im seinerzeitig bewilligten Zustand („Baukonsens“) erhalten werden müssen. Eine Durchbrechung dieses Grundsatzes sah die Wiener BauO vor. Auch bei Elektroanlagen gilt, dass diese stets nach den zum Zeitpunkt der Errichtung geltenden Sicherheitsvorschriften zu errichten sind. Ändern sich die Sicherheitsvorschriften so hat dies grundsätzlich keine Auswirkung (Bestandschutz). Es muss insbesondere keine Adaptierung vorgenommen werden. Wenn jedoch bei Elektroanlagen wesentliche Änderungen und Erweiterungen durchgeführt werden, so müssen die Anlagen an die (neuen) geltenden Vorschriften angepasst werden (Durchbrechung Bestandschutz).
Für Mietwohnungen gilt zusätzlich § 7 ETV 2020. Ein FI-Schalter ist somit jedenfalls bei „Neuvermietung“ verpflichtend. Eine Adaptierungspflicht für seit vor dem 13.7.2010 bestehende Mietverhältnisse wird wohl unter dem Gesichtspunkt des Bestandschutzes abzulehnen sein.
Blog-Beitrag gemeinsam erstellt mit Paul Moik.