Geh- und Fahrrechte – Umfang nach vorhersehbarer Nutzung zu beurteilen

Geh- und Fahrrechte – Umfang nach vorhersehbarer Nutzung zu beurteilen

Besteht ein Geh- und Fahrrecht über ein fremdes Grundstück zur Erreichung eines Stadels und Wohnhauses auf einem benachbarten Grundstück, so kann nach Kauf dieses Grundstückes und Bau von Wohneinheiten auch die vorhersehbare spätere Nutzung des herrschenden Grundstückes für den Servitutsumfang maßgeblich sein und deshalb unter Umständen keine unzulässige Ausweitung des Servitutes vorliegen.

Sachverhalt

Ausgangspunkt des Rechtsstreites war der Erwerb einer Liegenschaft vom Beklagten durch den Kläger um darauf Wohneinheiten zu errichten. Um das erworbene Grundstück zu erreichen, musste eine Liegenschaft des Nachbarn benützt bzw überquert werden.

Der Käufer machte als Kläger Ansprüche aus Gewährleistung und Schadenersatz gegenüber dem Verkäufer geltend. Er berief sich auf die kaufvertragliche Zusage wonach Geh- und Fahrrechte über Liegenschaften Dritter zur Erreichung der erworbenen Liegenschaft in uneingeschränkten Umfang vorliegen würden. Tatsächlich hätte jedoch nur ein von den Nachbarn bestrittenes Geh- und Fahrrecht bestanden und der Kläger musste mit den Eigentümern des dienenden Grundstückes Dienstbarkeitsverträge abschließen. Die daraus entstandenen Aufwendungen wollte der Kläger nun ersetzt bekommen.

Der Beklagte widersprach dieser Ansicht. Es sei nur ein „rechtlich gesicherter Anschluss an das öffentliche Straßennetz“ zugesagt worden, der vorliege.

Vorinstanzen

Das Erstgericht gab der Klage statt. Das Berufungsgericht änderte das erstgerichtliche Urteil vollständig klagsabweisend ab. Der gesicherte Anschluss an das öffentliche Straßennetz würde aufgrund einer 1882 begründete Dienstbarkeit bestehen und die Zufahrt zugunsten der geplanten Wohneinheiten würde keine unzulässige Erweiterung der Dienstbarkeit darstellen.

OGH

Der OGH stellte fest, dass die Beurteilung der Art und des Umfanges einer Dienstbarkeit, bei der keine genaue Umschreibung der Nutzung durch den Erwerbstitel erfolgt („ungemessene“ Dienstbarkeit), an den Bedürfnissen des herrschenden Guts im Rahmen der ursprünglichen oder vorhersehbaren Nutzung gemessen wird (RS0097856) und, dass eine unzulässige Erweiterung der Nutzung nur dann vorliegt, wenn das dienende Gut erheblich schwerer belastet wird (RS0011733, RS0016370).

Zu Geh- und Fahrrechten wurde ausgeführt, dass diese grundsätzlich nicht durch Kulturänderung ausgedehnt werden können (RS0016364 [T2]). Die Anpassung der Benützungsart durch den Servitutsberechtigten an die fortschreitende Entwicklung ist hingegen zulässig (RS0016364 [T5]). Im Ergebnis bedeutet dies, dass der Servitutsbelastete ein Verkehrsaufkommen hinzunehmen hat wie es nach den heutigen Gegebenheiten mit der Art der Bebauung, die im Entstehungszeitpunkt des Servituts bestand oder absehbar war, verbunden ist.

Kommt es zu einer unzulässigen nachteiligen Beanspruchung, so kann die verursachte Mehrbelastung des dienenden Gutes untersagt werden (4 Ob 25/14a).

Das streitgegenständliche Grundstück wurde geteilt: Der Kläger ging daher davon aus, dass zugunsten des erworbene Grundstücksteils nur das Recht zur Erreichung des Stadels (ausschließlich dieser befand sich am erworbenen Grundstücksteil) „miterworben“ wurde und schloss deshalb die kostenverursachenden Dienstbarkeitsverträge, obwohl dies gar nicht notwendig gewesen wäre. Denn der OGH führte dazu aus, dass eine Teilung des servitutsbelasteten Grundstückes bewirkt, dass mangels Vereinbarung die Grunddienstbarkeit zugunsten aller Teile fortbesteht (§ 844 Satz 4 ABGB). Somit bestand das Recht zur Zufahrt zu Wohnzwecken auch am geteilten Grundstück fort.

Der Kläger schloss die Mehrkosten verursachenden Dienstbarkeitsverträge offenbar auch unter dem Gesichtspunkt ab, dass das bestehende Dienstbarkeitsrecht nur der Erreichung eines landwirtschaftlich genutzten Stadels und höchstens eines Wohnhauses diente und deshalb nach Bau der geplanten Wohneinheiten eine unzulässige Ausdehnung des Geh- und Fahrrechtes vorliegen würde.

Das Berufungsgericht stellte dazu jedoch fest, dass das prognostizierte Verkehrsaufkommen nach Errichtung der Liegenschaft maßgeblich für die Beurteilung der unzulässigen Erweiterung des Geh- und Fahrrechts sei. Dieses prognostizierte Verkehrsaufkommen sei aber im Vergleich zur Belastung, die durch das Erreichen eines landwirtschaftlichen Wirtschafsgebäudes (Stadel) mit Traktor und LKW entsteht sogar als geringer für das dienende Grundstück einzustufen. Insbesondere auch weil die landwirtschaftliche Benutzung nach Bau der Wohneinheiten wegfällt. Überdies sei bereits bei Servitutseinräumung mit einer Erweiterung des Personenkreises zu rechnen gewesen.

Der Abschluss von zusätzlichen Dienstbarkeitsverträgen war daher nicht notwendig, zumal die Zufahrt zu den Wohnhäusern bereits aufgrund der bestehenden Dienstbarkeit möglich gewesen wäre. Die eingeklagten Mehrkosten standen daher nicht zu. Der OGH hat die Revision des Klägers zurückgewiesen.

Blog-Beitrag gemeinsam erstellt mit Paul Moik.

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