Aufrechnung gegen Forderung auf Auszahlung des Haftrücklasses
Bei einem Haftrücklass kann der Schuldner gegen die Forderung des Gläubigers auf Auszahlung des Haftrücklasses mit einer ihm gegen den Gläubiger zustehenden Forderung aufrechnen. Für die Forderung des Aufrechnungsgegners, gegen die aufgerechnet werden soll, ist die Fälligkeit nicht erforderlich, wenn der Aufrechnende berechtigt ist, vorzeitig zu zahlen.
Sachverhalt
Die Beklagte wurde von der Klägerin beauftragt, im Zuge der Sanierung eines Gebäudes die Fenster auszutauschen. Dabei wurden Fenstergläser (Isoliergläser) verbaut, die einen geringeren Schalldämmwert als vereinbart aufwiesen.
Zwischen den Parteien wurde vereinbart, dass die Klägerin einen Haftrücklass in der Höhe von 5 % der Gesamtsumme (einschließlich USt) in bar einbehalten solle. Die Klägerin behielt somit € 91.586,20 ein.
Gestützt auf die Gewährleistung begehrte die Klägerin ursprünglich € 464.922 wegen der behaupteten Mängel der Fenstergläser. Die Beklagte hätte sich geweigert, die mangelhaften Fenster auszutauschen, weswegen die Kosten der Ersatzvornahme eingeklagt wurden. In der Tagsatzung vom 10.7.2020 schränkte die Klägerin ihr Begehren um den zurückbehaltenen Haftrücklass ein. Die Klagseinschränkung hätte jedoch keine Kostenfolgen, da der Haftrücklass für die Fensterrahmen für 5 und für das Isolierglas für 10 Jahre vereinbart worden sei – die Parteien vereinbarten im Vertrag Gewährleistungsfristen von 10 Jahren für die Fenstergläser, 5 Jahre für die Fensterrahmen und 3 Jahre für sonstige Leistungen. Die Schlussrechnung wurde im Oktober 2016 gelegt, weshalb bislang keine Verpflichtung bestanden habe, den ausstehenden Haftrücklass auch tatsächlich anzurechnen.
Die Beklagte entgegnete wiederum, sie habe vertragsgemäß und mängelfrei geleistet. Weiters hielt sie der Forderung, die Fenster im Wege der Gewährleistung austauschen zu müssen entgegen, dass ein Austausch unverhältnismäßig wäre. Die Fenster hätten zu keiner Beanstandung der Mieter geführt und auch ein redlicher Verkehrsteilnehmer würde wegen der geringen Abweichung keinen kompletten Glastausch vornehmen. Zusätzlich wendete die Beklagte in eventu die Forderung auf Rückzahlung des Haftrücklasses ein, da diese mit 31.5.2021 fällig wurde.
Die Klägerin bestritt die Gegenforderung und verwies darauf, dass die Gewährleistungsansprüche zu Recht bestünden.
Vorinstanzen
Das Erstgericht erkannte die eingeschränkte Klagsforderung als zur Gänze zu Recht, die Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend an und gab der Klage statt. Der Haftrücklass sei mangels Ablauf der vereinbarten 10-jährigen Gewährleistungsfrist nicht von den Mängelbehebungskosten abzuziehen, die Klägerin schränkte jedoch ihre Klage ein, weshalb ihr der Klagsbetrag voll zusteht.
Das Berufungsgericht sprach wiederum aus, dass die Klagsforderung nur mit € 95.557,05 zu Recht bestehe, weil ein bloß geringer Mangel vorliege, der nicht zum Austausch, sondern zur Preisminderung berechtige (Verbesserung wäre unverhältnismäßig, wie es auch die Beklagte ausgeführt hat). Weiters würde die Gegenforderung nicht zu Recht bestehen und der Haftrücklass sei mangels Ablauf der 10-jährigen Gewährleistungsfrist nicht von dem Preisminderungsanspruch abzuziehen. Gegen diese Entscheidung erhob die Beklagte außerordentliche Revision und begehrte die Reduktion des zugesprochenen Teilbetrages um € 68.746,92.
Oberster Gerichtshof
Zunächst stellte der OGH fest, dass nur mehr die Frage der Anrechnung (Aufrechnung) des Haftrücklasses Gegenstand der Revision sei. Die vom Berufungsgericht entschiedene (Anpassung der) Preisminderung blieb unbekämpft.
Die Revision macht geltend, dass die Klägerin bereits mit der Klagseinschänkung mit dem Haftrücklass aufgerechnet hätte. Eine 10-jährige Gewährleistungsfrist sei nur für die Isoliergläser vereinbart worden, für die Fensterrahmen hingegen nur 5 Jahre und für sonstige Leistungen nur 3 Jahre. Die 3-jährige und 5-jährige Frist sei bereits vor Ende der Verhandlung abgelaufen, weshalb der Haftrücklass, soweit er nicht die mangelhaften Isolierglasfenster betreffe, fällig sei. Die Klägerin darf deshalb nur anteilig den Haftrücklass für die Isolierglasfenster einbehalten, was € 22.839,28 entspräche. Der darüberhinausgehende Teil des Haftrücklasses sei mit 31.5.2021 fällig und deswegen mindernd zu berücksichtigen. Die Beklagte schulde der Klägerin daher nur € 26.810,13.
Zu diesen Behauptungen stellte der OGH zunächst fest, dass bei einem Haftrücklass der Schuldner gegen die Forderung des Gläubigers auf Auszahlung des Haftrücklasses mit einer ihm selbst gegen den Gläubiger zustehenden Geldforderung aufrechnen darf (9 Ob 28/19m). Wenn der Aufrechnende berechtigt ist, vorzeitig zu zahlen, ist die Fälligkeit der Forderung nicht essenziell. Im Falle einer vorzeitig zahlbaren Schuld des Aufrechnenden wirkt die spätere Aufrechnungserklärung auf den Zeitpunkt zurück, in dem die Forderung des Aufrechnenden fällig und die Forderung des Aufrechnungsgegners vorzeitig erfüllbar waren und sich so gegenüberstanden.
Der Abzug des Haftrücklasses vom Klagsbetrag durch die Klagseinschränkung samt Vorbringen durch die Klägerin kann nur dahingehend verstanden werden, dass sie den Haftrücklass aufgrund behaupteter Mängel einbehält und daher mit der Klagsforderung aus Gewährleistung aufrechnet. Die Klägerin steht auch im Rechtsmittelverfahren auf dem Standpunkt, der Haftrücklass habe infolge ihrer Klagseinschränkung bereits mindernd Berücksichtigung gefunden.
Die Klägerin habe somit bereits in der Tagsatzung vom 10.7.2020 (siehe oben) gegen die gesamte Haftrücklassforderung der Beklagten wirksam aufgerechnet. Dem steht nicht entgegen, dass der Haftrücklass allenfalls noch nicht fällig war, weil auch nicht behauptet wurde, dass die Klägerin nicht berechtigt gewesen sei, den Haftrücklass vorzeitig an die Beklagte auszubezahlen – insbesondere auch, weil die Beklagte ja im Rechtsmittelverfahren sogar die Aufrechnung wünscht.
Bei der Ermittlung des der Klägerin zustehenden Betrages ist daher die gesamte Haftrücklassforderung vom ermittelten Preisminderungsanspruch abzuziehen. Auf die Fälligkeit einzelner Teile des Haftrücklasses kommt es nicht an. Die Forderung der Beklagten auf Auszahlung des Haftrücklasses wurde durch die Aufrechnung getilgt. Eine Gegenforderung besteht nicht.
Da die Revision nur eine weitere Abweisung von € 67.746,92 begehrte, ist sie zur Gänze berechtigt.
Praxistipp
In der Praxis sollte daher darauf geachtet werden, dass bei Einschränkung der Klage im Laufe des Verfahrens ausdrücklich erklärt wird, dass hiermit eine Aufrechnung mit der Haftrücklassforderung gewollt ist.
Blog-Beitrag gemeinsam erstellt mit Paul Moik.