Abtretung von Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüchen bei Schenkungen
Auch bei unentgeltlicher Veräußerung einer bebauten Liegenschaft, kann eine ergänzende Vertragsauslegung dahingehend vorgenommen werden, dass dem Erwerber alle Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüche des Veräußerers aus Werkverträgen mit Dritten, die aus einer Beeinträchtigung der Liegenschaft resultieren, abgetreten werden.
Der im konkreten Fall beklagte Zivilingenieur erstattete für die damalige Liegenschaftseigentümerin (Ersteigentümerin) ein – wie sich später herausstellen sollte – mangelhaftes statisches Gutachten für einen Dachgeschossausbau. Im Jahr 1993 widmete die Ersteigentümerin das Haus einer Privatstiftung. 2003 verkaufte die Privatstiftung das Haus an die Klägerin, wobei der Kaufvertrag einen Haftungsausschluss enthielt. Die Klägerin führte einen Dachgeschossausbau durch, für dessen Bewilligung u.a. das statische Gutachten des Beklagten Grundlage war. 2015 traten Risse am Haus auf, die Sanierungskosten von EUR 400.000,- verursachten.
Durch ein korrektes statisches Gutachten hätten bereits im Jahr 1993 Ertüchtigungsmaßnahmen am Haus ergriffen werden müssen, welche die Schäden verhindert hätten. Diese fiktiven Ertüchtigungsmaßnahmen im Jahr 1993 hätten sich auf EUR 45.000,- belaufen.
Die Beklagte brachte vor, dass bei einer unentgeltlichen Übertragung, im Gegensatz zur entgeltlichen Übertragung, keine Schutzwirkung des Erwerbers bestünde, da hierbei kein Ungleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung vorliege. Hätten die Parteien im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vom Bestehen der Mängel an der Liegenschaft gewusst, hätte sich die Übertragende die Geltendmachung der Ansprüche jedenfalls selbst vorbehalten.
OGH
Der OGH führte aus, die Ersteigentümerin habe infolge der Eigentumsübertragung keine Schäden mehr zu gewärtigen. Deshalb bestand für sie auch kein Grund, Ansprüche gegenüber dem Beklagten, als ihrem Vertragspartner gelten zu machen. Aufgrund des „Gesamtbündels an Vereinbarungen“ (der Privatstiftung wurden neben der Nutzung der Liegenschaft auch Verbindlichkeiten übertragen) nahm der OGH an, dass, wenn die Vertragsparteien die vorliegende Situation nach der typischen Interessenlage mitbedacht hätten, diese auch ausdrücklich in dem Sinn geregelt hätten, dass die Ersteigentümerin das Haus sowie die damit im Zusammenhang stehenden Ansprüche in ihrer Gesamtheit auf die Privatstiftung übertragen hätte. Daher war eine ergänzende Auslegung des Schenkungsvertrags dahingehend vorzunehmen, dass die Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüche mitübertragen wurden. Der Gewährleistungsausschluss zwischen Privatstiftung und Käuferin (Klägerin) im Kaufvertrag ist aufgrund der Rechtssprechung so auszulegen, dass dem Käufer auch alle bei Vertragsabschluss unbekannten Gewährleistungs- und Schadenersatzforderungen des Verkäufers aus einem Werkvertrag mit einem Dritten, die aus einer Beeinträchtigung der Liegenschaft resultieren, abgetreten wurden. (RS0119576)
Für die Praxis
Bei Vertragsabschluss kann es vorkommen, dass bestimmte Umstände im Zeitpunkt der Vertragsunterfertigung nicht bedacht und daher auch nicht geregelt wurden. Um diese Vertragslücke zu schließen, bedient sich die Rechtsprechung hier unter anderem der ergänzenden Auslegung von Verträgen mittels Weiterführung des tatsächlichen Parteiwillens.
Die ergänzende Vertragsauslegung wird unter anderem dann vorgenommen, wenn ein Kaufvertrag die Bestimmung enthält, dass das Kaufobjekt mit allen Rechten sowie Vorteilen des Verkäufers auf den Käufer übergeht und gleichzeitig auch ein allgemeiner Gewährleistungsausschluss vereinbart wurde. Der Vertrag wird dann dahingehend ergänzt, dass dem Erwerber alle liegenschaftsbezogenen Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüche, welche der Verkäufer gegen Dritte hat, als abgetreten gelten. Eine ergänzende Vertragsauslegung wird dabei vor allem dort vorgenommen, wo von den Vertragsparteien an eine konkrete Beeinträchtigung der Liegenschaft nicht gedacht wurde und diese daher auch im Kaufvertrag nicht berücksichtigt wurde bzw. werden konnte.