Informationsrecht versus Datenschutz
Diesmal eine Entscheidung zu einer Genossenschaft – höchstwahrscheinlich auch für alle anderen Gesellschaftsformen von Relevanz: Einsicht sticht Datenschutz
Ein Genossenschafter beantragte, das Gericht möge ihm volle Einsicht in das Mitgliederregister einer Genossenschaft gewähren, weil deren Vorstand aus datenschutzrechtlichen Gründen die Einsicht in die Adressen der anderen Genossenschafter verwehrt habe. Der beantragende Genossenschafter argumentierte, er benötige die Adressen zur Kontaktaufnahme mit anderen Genossenschaftern, um Minderheitenrechte geltend zu machen (Einberufung einer Generalversammlung).
Die Genossenschaft entgegnete, dass gemäß § 14 GenG keine Pflicht bestehe, die Adressen der Genossenschafter aufzulisten, sie somit im Mitgliederregister nicht zu führen seien, weshalb sie in einer gesonderten Liste geführt würden, in welche wegen der DSGVO kein Einblick gewährt werden dürfe.
Die ersten zwei Instanzen gaben dem Antrag des Genossenschafters auf Einsicht in die Adressen der anderen Genossenschafter statt, das Rekursgericht ließ den ordentliche Revisionsrekurs zu. Der OGH ließ den ordentliche Revisionsrekurs der Genossenschaft ebenfalls zu, hielt ihn aber für nicht berechtigt.
Adressen
Der OGH stellt klar, dass die nach § 14 GenG gestattete Einsicht in das Genossenschaftsregister (Mitgliederverzeichnis) sich auf die im Mitgliederverzeichnisse vorkommenden Adressen erstreckt, auch wenn die Adressen nach § 14 GenG nicht zum gesetzlich vorgeschriebenen Inhalt des Mitgliederverzeichnisses gehören. Die Einsicht müsse jedoch durch den Einsichtsberechtigten persönlich erfolgen (zur GmbH vgl. OGH 20.10.2021, 6 Ob 165/21i).
Im Übrigen besteht nach dem OGH ein solches Einsichtsrecht nicht nur auf Grund des § 14 GenG, sondern auch gemäß § 1194 Abs 1 Satz 2 ABGB, der gemäß § 1175 Abs 4 ABGB sinngemäß anzuwenden ist. In diesem Zusammenhang verweist der OGH auf 6 Ob 166/19h beziehungsweise RS0105318 und auf den deutschen Bundesgerichtshof (BGH II ZR 263/18).
Datenschutz
Der OGH hält fest, dass Adressen der Genossenschafter personenbezogene Daten sind (Art 4 Z 1 DSGVO) und die begehrte Einsicht als Verarbeitung zu qualifizieren ist (Art 4 Z 2 DSGVO), gibt aber nach einer Auseinandersetzung mit 6 Ob 56/21k, 5 Ob 175/08h, 5 Ob 238/12d, BGH II ZR 219/09, BGH II ZR 187/09, OLG Saarbrücken 1 U 450/07, BGH II ZR 263/18 und dem ErwGr 48 DSGVO dem OLG Graz als Rekursgericht recht, dass die Einsicht in die Adressen zur Ausübung von Minderheitenrechten (Einberufung einer Generalversammlung) zulässig sei, und vertritt, dass die Herausgabe personenbezogener Daten eines Genossenschafters an einen anderen Genossenschafter vom Erlaubnistatbestand des Art 6 Abs 1 lit b DSGVO umfasst ist.
Das Argument der Genossenschaft, die Einsicht in die Adressen sei nicht nötig, weil nach ihrer Satzung Bekanntmachungen (etwa die Einberufung der Generalversammlung – vgl. auch § 29 Abs 2 GenG) durch Anschlag im Geschäftslokal zu erfolgen hätten, sodass den Mitgliedern zur Ausübung ihrer Rechte die Adressen nicht bekannt sein müssten, schmettert der OGH unter Hinweis darauf ab, dass für die Wahrnehmung von Minderheitenrechten und die Abstimmung von Genossenschaftern untereinander Bekanntmachungen durch Anschlag im Geschäftslokal nicht geeignet sind.
Auch das Argument der Genossenschaft, der antragstellende Genossenschafter hätte zur Wahrnehmung seiner Rechte den Vorstand ersuchen können, sein Schreiben an alle Genossenschaftsmitglieder weiterzuleiten, lässt der OGH nicht gelten, weil eine solche Vorgehensweise keine Deckung im Genossenschaftsgesetz oder der Satzung findet.
Schließlich meinte die Genossenschaft, dass allen übrigen Genossenschaftsmitgliedern Parteistellung zur Dartuung ihrer Geheimhaltungsinteressen einzuräumen sei. Dem hält der OGH entgegen, dass die Genossenschaft selbst die Interessen der übrigen Genossenschaftsmitglieder wahrzunehmen habe, und zwar ebenso, wie dies bei anderen Verbänden der Fall ist (6 Ob 201/09s). Außerdem, so der OGH weiter, würde die Anhörung der übrigen Genossenschaftsmitglieder wiederum die Offenlegung ihrer Adressen erfordern.