Rechtsmissbräuchlicher Abruf einer Bankgarantie

Rechtsmissbräuchlicher Abruf einer Bankgarantie

Sinn einer abstrakten Bankgarantie ist es, „erst nach erfolgter Zahlung zu streiten“: Dem Begünstigten soll eine sichere und durch Einwendungen nicht verzögerte Zahlung gewährleistet werden. Ein rechtsmissbräuchlicher Abruf der Garantie ist dennoch nicht erlaubt. Dieser liegt insbesondere dann vor, wenn die Garantie abgerufen werden soll, obwohl evident ist, dass kein Anspruch mehr besteht.

Sachverhalt

Eine Bauherrin beauftragte einen Generalunternehmer mit der Errichtung einer Wohnhausanlage. Der Generalunternehmer verpflichtete sich, die Anlage bis 30.11.2022 zu einem Pauschalpreis von 1,4 Mio € zu errichten.

Im Generalunternehmervertrag wurde vereinbart, dass die Bauherrin bei mangelhafter, nicht ordnungsgemäßer oder nicht termingerecht erbrachter Leistung und Ausführung nach Verstreichen einer Nachfrist oder einvernehmlicher Behebung das Recht hat, vom Vertrag zurückzutreten. Sämtliche daraus resultierenden Mehrkosten muss der Auftragnehmer bezahlen.

Die Auftraggeberin leistete dem Auftragnehmer eine Sicherstellung nach § 1170b ABGB in der Höhe von 200.000 €. Eine solche Sicherstellung wird im Wesentlichen geleistet, um zu verhindern, dass der Auftragnehmer Bauleistungen erbringt, für die er kein Entgelt erhält. Sie dient als Haftungsfonds für das noch ausstehende Entgelt.

Als Sicherstellungsmittel können Bargeld, Bareinlagen, Sparbücher, Versicherungen oder aber Bankgarantien dienen. Letztere wählte die Auftraggeberin. Vereinbart wurde, dass der Auftragnehmer diese Bankgarantie nur mittels schriftlicher Anforderung abrufen kann. Diese Anforderung hat Folgendes zu enthalten:

die Erklärung [hat] zu enthalten, dass eine bzw mehrere Rechnung(en) trotz Fälligkeit und Fertigstellung der damit in Rechnung gestellten Leistungen, somit des damit in Rechnung gestellten Baufortschritts, nicht bezahlt worden sind – bei der Schlussrechnung darüber hinaus die Erklärung, dass das Bauwerk gem. Pkt 20 des GU-Vertrages mängelfrei gestellt ist.

Nach Erhalt der Abruferklärung hat die Bank binnen acht Tagen den abgerufenen Betrag auszuzahlen.

Das Bauvorhaben war zum vereinbarten Zeitpunkt nicht fertiggestellt. Die Auftraggeberin setzte dem Auftragnehmer mehrere Nachfristen für die Fertigstellung. In der letzten Aufforderung zur Fertigstellung und Setzung einer Nachfrist erklärte die Auftraggeberin, dass sie vom Vertrag zurücktreten werde, wenn auch diese Frist verstrichen ist. Da der Auftragnehmer auch diesmal die Frist nicht einhielt, erklärte die Auftraggeberin den Rücktritt vom Vertrag mit sofortiger Wirkung.

Eine Fertigstellung des Bauvorhabens erfolgte nicht – weiters liegen zahlreiche unbehobene Baumängel vor.

Die Auftraggeberin zahlte bisher rund 1,1 Mio € an Werklohn und leistete Direktzahlungen für Materialeinkäufe in Höhe von etwa 112.000 €.

Nach Vertragsrücktritt legte der Auftragnehmer eine Schlussrechnung in Höhe von rund 170.000 €. Die Auftraggeberin bestritt diese Schlussrechnung, da das Bauwerk weder fertiggestellt noch mängelfrei sei – ihr würde also ein Zurückbehaltungsrecht zukommen. Auch habe die Auftraggeberin bereits etwa 430.000 € an Überzahlung geleistet.

Der Auftragnehmer rief daraufhin die Bankgarantie in Höhe der Schlussrechnung mit einem Schreiben ab, in dem er erklärte, dass das Bauvorhaben fertiggestellt sei und auch keine Mängel vorliegen, da die Auftraggeberin die Mängelbehebung durch den Auftragnehmer ausdrücklich verweigert.

Nach Information, dass der Auftragnehmer die Bankgarantie abrufen möchte, wandte sich die Auftraggeberin an das Gericht: Sie beantragte den Widerruf des Abrufs der Bankgarantie sowie eine einstweilige Verfügung, die es dem Auftragnehmer untersagt, die Bankgarantie abzurufen.

Die Antragstellerin (= Auftraggeberin) argumentierte dabei, dass der Abruf der Garantie rechtsmissbräuchlich sei. Die Erklärung der Bank gegenüber (Fertigstellung und Mängelfreiheit) wurde wissentlich falsch abgegeben. Da das Bauwerk nicht fertiggestellt wurde, kann auch die Schlussrechnung nicht fällig sein. Der Rücktritt erfolgte rechtskonform und im Rahmen der Prüfung der Schlussrechnung ergab sich eine Überzahlung von etwa 430.000 €, weswegen die Antragsgegnerin (= Auftragnehmer) ungerechtfertigt bereichert ist. Die Auszahlung der Garantie würde zu einem unwiederbringlichen Schaden führen, weil eine Rückzahlung de facto denkunmöglich ist.

Vorinstanzen

Das Erstgericht erließ die beantragte einstweilige Verfügung. Es nahm als bescheinigt an, dass der Antragstellerin mehrere Hunderttausend Euro an Ersatzvornahmekosten (= Kosten für die Fertigstellung und die Sanierung) entstünden. Zum Rechtsmissbrauch führte es aus, dass der Antragsgegner die Bankgarantie abgerufen habe, obwohl ihm bewusst war, dass das Bauwerk weder fertiggestellt noch mängelfrei war. Dem Antragsgegner musste daher bewusst sein, dass der Werklohn nicht fällig sein kann.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Antragsgegners nicht Folge. Es führte aus, dass der Abruf der Bankgarantie rechtsmissbräuchlich gewesen sei, da der Garantiefall evident nicht eingetreten sei.

Oberster Gerichtshof

Der Oberste Gerichtshof führte zunächst aus, dass es zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung (§ 381 EO) zweier Voraussetzungen bedarf: Einerseits bedarf es der Behauptung und Bescheinigung eines bestimmten Anspruches und andererseits einer konkreten Gefährdung. Die Gefährdung der Antragstellerin ist im Revisionsrekursverfahren nicht strittig. Der Antragsgegner bestreitet jedoch, dass die Voraussetzungen für die Annahme eines Rechtsmissbrauches vorliegen.

Dazu, wann ein Abruf einer Bankgarantie rechtsmissbräuchlich ist, existiert eine Vielzahl an Rechtsprechung. Dennoch ist stets im Einzelfall zu entscheiden, ob die Voraussetzungen gegeben sind. Aus diesem Grund bildet diese Frage in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage (§ 528 Abs 1 ZPO), welche Voraussetzung für die Behandlung durch den OGH ist. Das Berufungsgericht hat jedoch seinen Beurteilungsspielraum überschritten:

Der Anspruch des Garantieauftraggebers gegen den Begünstigten auf Widerruf des Abrufs der Bankgarantie kann durch einstweilige Verfügung nur gesichert werden, sofern der Nichteintritt des Garantiefalles liquide und eindeutig nachgewiesen wird (RS0005092).

Im konkreten Fall handelt es sich um eine sogenannte abstrakte Garantie. Dessen Sinn und Zweck ist es, dem Begünstigten eine sichere und durch Einwendungen nicht verzögerte Zahlung zu gewährleisten (RS0016992). Streitigkeiten sollten erst – ganz nach dem Grundsatz „zuerst wird gezahlt, dann gestritten“ – nach der Zahlung abgewickelt werden.

Eine rechtsmissbräuchliche Abrufung der Garantie ist ebenfalls unzulässig. Eine solche liegt unter anderem dann vor, wenn die Bankgarantie für etwas in Anspruch genommen wird, für das sie nicht übernommen wurde bzw für etwas, für das kein Anspruch besteht, weswegen das Erhaltene sofort wieder herauszugeben wäre. Überdies ist erforderlich, dass das Nichtbestehen des Anspruches evident gewesen ist. Sofern sich der Begünstigte aus vertretbaren Gründen legitimiert sieht, die Garantie abzurufen, so liegt kein Rechtsmissbrauch vor. Beweisen muss dies der, der sich auf den Rechtsmissbrauch beruft.

Der Begründung des Rekursgerichtes für die Annahme von Rechtsmissbrauch ist nicht zu folgen: Es bedarf weder nach dem Wortlaut des Vertrages noch nach dem Zweck der Bankgarantie einer Erklärung des Antragsgegners gegenüber der Bank, dass die Antragstellerin eine ausdrückliche Mängelfreistellung gegeben habe. Dadurch würde es nämlich dazu kommen, dass die Werkbestellerin es faktisch in der Hand hätte, ob die Bankgarantie ausgezahlt wird oder nicht. Das würde dem Zweck der Sicherstellung iSd § 1170b ABGB widersprechen.

Rechtsmissbräuchlichkeit könnte nach Meinung des OGH aber aus anderen Gründen vorliegen:

Das Werk wies zahlreiche unbehobene Mängel auf, die Vollendung und Ablieferung des Werkes unterblieb aus Gründen, die dem Werkunternehmer zuzurechnen sind und das Bauvorhaben wurde von ihm nie fertiggestellt. All das war für den Antragsgegner evident.

Die Werkbestellerin ist wirksam vom Vertrag zurückgetreten (§ 918 Abs 1 ABGB), weswegen der Vertrag mit Wirkung ex tunc (also von Beginn an) als aufgelöst gilt. Dadurch besteht kein Erfüllungsanspruch mehr und bereits erbrachte Leistungen sind zurückzugeben oder deren Wert ist zu ersetzen. Ein allenfalls entstandener Schadenersatzanspruch wegen Nichterfüllung bleibt davon jedoch unberührt.

Tritt also der Gläubiger vom Vertrag aufgrund des Verschuldens des Schuldners zurück, so kann er das Erfüllungsinteresse fordern. Dieses umfasst die Mehraufwendungen infolge Abschlusses eines gleichartigen Deckungsgeschäftes.

Im konkreten Fall kann jedoch dem Antragsgegner offenkundig kein bereicherungsrechtlicher Rechtsanspruch mehr zustehen. Die Werkbestellerin leistete bereits rund 1,1 Mio € an Werklohn und Direktzahlungen für Materialeinkäufe in Höhe von etwa 112.000 €, was zusammen etwa 1,2 Mio € ergibt. Da der Antragstellerin jedoch dem Erstgericht zufolge mehrerer Hunderttausend Euro an Ersatzvornahmekosten entstehen würden, übersteigen die Leistungen der Werkbestellerin und die Ersatzvornahmekosten sogar den ursprünglich vereinbarten Werklohn in Höhe von 1,4 Mio €. Schon aus diesem Grund ist also ersichtlich, dass es keinen Restanspruch des Werkunternehmers geben kann, der durch eine Bankgarantie gesichert werden müsste. Die Abrufung der Bankgarantie wäre somit rechtsmissbräuchlich!

Im konkreten Fall verwies der OGH die Sache wieder an das Zweitgericht zurück, damit dieses noch prüft, ob die vom OGH angenommenen potenziellen Gründe der Rechtsmissbräuchlichkeit zutreffen.

Blog-Beitrag gemeinsam erstellt mit Paul Moik.

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