72-Stunden-Klausel: was gilt als „benutzt“?
Leitungen sind nach den konkreten AVB nur abzusperren, wenn die Baulichkeiten „nicht benutzt und nicht beaufsichtigt" sind. Auch wenn die 72-Stunden-Klausel auf bewohnen abstellt, genügt eine Benützung auch ohne Wohnen, um die Leitungen nicht absperren zu müssen.
Sachverhalt
Zwischen der Klägerin und der Beklagten besteht ein aufrechter Eigenheimversicherungsvertrag für ein Wochenendhaus.
Die Klägerin drehte im März 2022 die Hauswasserzuleitung im versicherten Wochenendhaus im Gartenbereich auf. Sie war von März 2022 bis 20. Mai 2022 nicht mehr im Wochenendhaus. Am 22. Mai stellte sie einen Schaden aufgrund von ausgetretenem Leitungswasser fest. Der Ehegatte der Klägerin kümmert sich um das Wochenendhaus und fährt regelmäßig nach der Arbeit hin, um Gartenarbeit zu verrichten und um nachzusehen, „ob alles passt“. Der Ehegatte der Klägerin betritt dabei das Haus, um sich umzuziehen und geht anschließend in den Garten, bevor er nach Hause fährt, zieht er sich wieder um, fallweise kocht er sich Kaffee. Meist wirft der Ehegatte der Klägerin auch noch kurz einen Blick auf alles. Die Hauswasserzuleitung war nicht abgedreht.
Relevante Bestimmungen der AWB und ABS
Sicherheitsvorschriften
(2) Der Versicherungsnehmer übernimmt ferner die Verpflichtung, in nicht benutzten und nicht beaufsichtigten Baulichkeiten die Wasserleitungsanlagen und sonstige wasserführende Anlagen abzusperren. Während der möglichen Heizperiode sind zusätzlich sämtliche wasserführenden Leitungen und Anlagen zu entleeren, sofern die Heizung nicht durchgehend in Betrieb gehalten wird. Das gleiche gilt für vorübergehend außer Betrieb gesetzte Anlagen. Für Ein- und Zweifamilienhäuser sowie Wochenendhäuser gilt die vorstehende Regelung nur, wenn sie länger als 72 Stunden unbewohnt sind.
Artikel 3 ABS – Sicherheitsvorschriften
(1) Verletzt der Versicherungsnehmer gesetzliche, behördliche oder vereinbarte Sicherheitsvorschriften oder duldet er ihre Verletzung, kann der Versicherer innerhalb eines Monats, nachdem er von der Verletzung Kenntnis erlangt hat, die Versicherung mit einmonatiger Frist kündigen. Das Kündigungsrecht erlischt, wenn der Zustand wiederhergestellt ist, der vor der Verletzung bestanden hat.
(2) Der Versicherer ist von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Schadenfall nach der Verletzung eintritt und die Verletzung auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers beruht. Die Verpflichtung zur Leistung bleibt bestehen, wenn die Verletzung keinen Einfluss auf den Eintritt des Schadenfalles oder soweit sie keinen Einfluss auf den Umfang der Entschädigung gehabt hat oder wenn zur Zeit des Schadenfalles trotz Ablaufs der Frist die Kündigung nicht erfolgt war.
(3) Ist mit der Verletzung einer Sicherheitsvorschrift eine Erhöhung der Gefahr verbunden, finden die Bestimmungen über die Erhöhung der Gefahr Anwendung.
OGH-Entscheidung
Art 6.2 AWB verlangt ein besonderes Verhalten des Versicherungsnehmers. Es handelt sich damit um eine (vorbeugende) Obliegenheit.
Da der Versicherer nach den Bedingungen in Kauf nimmt, dass ein Einfamilienhaus bis zu 72 Stunden, also volle drei Tage, nicht bewohnt wird, ist während dieser Zeit auch keine Beaufsichtigungspflicht vorgesehen (vgl 7 Ob 41/94; 7 Ob 104/20z, Pkt 6.4.1.). Für den Fall des – wie hier – länger als 72 Stunden dauernden Nicht-Bewohnens sind nach den Bedingungen „wasserführende Anlagen abzusperren“. Nach den Feststellungen hat die Klägerin das Wochenendhaus rund zwei Monate nicht bewohnt, weshalb sie die Wasserzuleitung allein nach dem letzten Satz von Art 6 Abs 2 der AWB hätte absperren müssen. Diese Verpflichtung gilt aber nach dem ersten Satz der Regelung nur für „nicht benutzte und nicht beaufsichtigte Baulichkeiten“.
Anders als in der Entscheidung 7 Ob 104/20z, wo eine Anwesenheit über ein paar Minuten in einem Appartement, um etwas zu holen als nicht ausreichend beurteilt wurde oder ein Dritter das Haus zur Beaufsichtigung nur kurz betrat, um „nach dem Rechten zu sehen“ (vgl dazu 7 Ob 4/84), ist im gegenständlichen Fall das Objekt als benutzt anzusehen. Der Ehemann der Klägerin ist hier nach den Feststellungen ausreichend oft und vor allem auch lange genug im Wochenendhaus gewesen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Ehegatte der Klägerin das Haus während seiner Aufenthalte dort tatsächlich benutzte und sich auch über mehrere Stunden dort aufhielt.