Zur Zulässigkeit eines Vorlageauftrages im Beweissicherungsverfahren
Die Zulässigkeit eines Vorlageauftrages in einem Beweissicherungsverfahren ist nicht explizit aus dem Gesetz entnehmbar und in der Literatur umstritten. Dennoch sind die Bestimmungen über den Vorlageauftrag (§ 308 ZPO) laut OGH unter Umständen auch im Beweissicherungsverfahren anzuwenden.
Sachverhalt
In diesem Fall geht es um ein Beweissicherungsverfahren gegen einen Gerichtsgutachter wegen eines in einem anderen Prozess erstatteten, angeblich falschen Gutachtens:
Die Antragstellerin ließ im Jahr 2013 und 2014 von einem Werkunternehmer Bodenfliesen in ihrem Betriebsgebäude verlegen. Da Mängel auftraten, führt die Antragstellerin einen Gewährleistungs- und Schadenersatzprozess gegen den Werkunternehmer. In diesem Prozess wurde der Antragsgegner zum gerichtlichen Sachverständigen bestellt. Dieser erstellte einen Befund und Gutachten über den Fliesenboden. Die Antragstellerin vermutete jedoch, dass der Sachverständige schuldhaft ein unrichtiges Gutachten erstattete, weshalb die Antragstellerin beim Erstgericht die Sicherung des gegenwärtigen Zustandes der verlegten Fliesen durch Befundaufnahme eines anderen Sachverständigen unter Durchführung eines Augenscheins beantragte. Der ursprüngliche Sachverständige habe aus dem schuldhaft fehlerhaften Gutachten der Antragstellerin zu haften. Da die Antragstellerin beabsichtigt, die schlecht verlegten Fliesen auszutauschen, besteht ein Interesse an der Feststellung des gegenwärtigen Zustandes.
Das Erstgericht bewilligte den Antrag und bestellte einen Sachverständigen zur Sicherung des Beweises über das Vorhandensein der von der Antragstellerin behaupteten Mängel.
Die Antragstellerin beantragte daraufhin dem Werkunternehmer aufzutragen, das Datenblatt über die im Betriebsgebäude verlegten Fliesen (eine Urkunde) zu übermitteln (Vorlageauftrag). Der Sachverständige habe auf unterschiedliche Bezeichnungen der Fliese auf einer Abbildung während der Verlegungsarbeiten einerseits und auf einer Bestätigung des Unternehmens vom Juli 2014 andererseits hingewiesen. Es handle sich bei dem Datenblatt daher um eine gemeinsame Urkunde im Sinne des § 304 Abs 2 ZPO.
Vorinstanzen
Das Erstgericht wies diesen Antrag ab. In einem Beweissicherungsverfahren kann ein Vorlageauftrag (§ 308 ZPO) nicht gestellt werden, insbesondere weil § 388 Abs 1 ZPO, der regelt, wie die Beweisaufnahme im Beweissicherungsverfahren zu erfolgen hat, nicht auf § 308 ZPO verweist.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss Folge, hob den Beschluss des Erstgerichtes auf und trug diesem Verfahrensergänzung auf: Zwar sei im Beweissicherungsverfahren der Urkundenbeweis nicht vorgesehen, die Antragstellerin habe jedoch nicht die Sicherung der Urkunde beantragt, sondern die Vornahme eines Augenscheines und Befundaufnahme durch den Sachverständigen. Daher stehe der fehlende Verweis auf den Urkundenbeweis in den Bestimmungen zum Beweissicherungsverfahren nicht entgegen. Ein Dritter (wie in diesem Fall der Werkunternehmer) ist jedoch nur zur Vorlage von Urkunden verpflichtet, wenn er zivilrechtlich zur Herausgabe verpflichtet ist oder die Urkunde für ihn und den Antragsteller gemeinschaftlich im Sinne des § 304 Abs 2 ZPO ist. Das Datenblatt ist zweifellos eine gemeinsame Urkunde, das Gericht hat über die Vorlage jedoch erst nach Anhörung des Gegners und des Dritten zu entscheiden (§ 308 Abs 2 ZPO). Da dies ausblieb, ist der Beschluss aufzuheben. Weiters setzt ein Vorlageauftrag voraus, dass die Urkunde erhebliches Beweismittel ist, was im konkreten Fall noch zu prüfen ist, da der aufgezeigte Widerspruch zwischen Datenblatt und Fliesenprodukt auch ohne das Datenblatt „beweisbar“ ist.
Da keine Rechtsprechung darüber bestehe, ob ein Vorlageauftrag auch in einem Beweissicherungsverfahren zulässig sei, ließ das Gericht den Rekurs an den OGH zu.
Oberster Gerichtshof
Zunächst stellte der OGH fest, dass ein Beweissicherungsverfahren (§§ 384 ff ZPO) zur Sicherung von Beweisen außerhalb eines Erkenntnisverfahrens dienlich ist, um drohenden Beweisverlust oder die erschwerte Benutzung eines Beweismittels abzuwenden. Nach § 384 Abs 2 ZPO ist ein Beweissicherungsverfahren auch zulässig, wenn der Antragsteller ein rechtliches Interesse an der Feststellung eines gegenwärtigen Zustandes hat. Hauptanwendungsfall dieser Beweissicherung ist das selbstständige Beweissicherungsverfahren, das vor Einleitung des Hauptverfahrens durchgeführt wird. Zur Durchführung dieses, muss der Antragsteller lediglich einen zivilrechtlichen Anspruch behaupten, zu dessen Durchsetzung, Abwehr oder Sicherung eine Beweissicherung notwendig ist (RS0130711).
Der Wortlaut des § 388 Abs 1 ZPO besagt, dass das Beweissicherungsverfahren ausschließlich nach den Bestimmungen über Zeugen-, Sachverständigen- und Augenscheinsbeweisen zu erfolgen hat. Die Literatur befürwortet weiter eine Analogie für die Parteienvernehmung. Umstritten ist jedoch, ob auch der Urkundenbeweis im Beweissicherungsverfahren analog zulässig ist.
Im konkreten Verfahren diente der Beweissicherungsantrag dazu, allfällige künftige Ansprüche gegen den im Rechtstreit gegen den Werkunternehmer eingesetzten Sachverständigen (der nach Meinung der Antragstellerin ein fehlerhaftes Gutachten erstattete) durchsetzen zu können. Der im Zuge dessen ergangene Vorlageauftrag betrifft aber keine im Rahmen der Beweissicherung sicherzustellende Urkunde, sondern der Antrag zielt auf Mitwirkung des Werkunternehmers (Dritter) an der Befundaufnahme durch den Sachverständigen im Beweissicherungsverfahren ab. Deshalb ist die Frage der Zulässigkeit einer analogen Anwendung der Bestimmungen über den Urkundenbeweis (und damit auch des Vorlageauftrages) im Beweissicherungsverfahren nicht zu beantworten. Dennoch stellte der OGH klar, dass die Verfahrensbestimmungen des § 308 ZPO über den Auftrag an einen Dritten zur Vorlage einer Urkunde auch im Beweissicherungsverfahren heranzuziehen sind, wenn die Urkunde im Zusammenhang mit der Befundaufnahme des Sachverständigen steht und für diese von Bedeutung ist.
Der Werkunternehmer war im konkreten Fall Dritter, weshalb der abweisende Antrag über den Vorlageantrag mit Rekurs bekämpfbar war.
Die im Rechtsmittel als unzulässig erachtete Anwendung der Bestimmung des § 308 ZPO ist daher nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner argumentierte in seinem Rechtsmittel, dass das Datenblatt nur für die Erstellung eines Gutachtens, nicht jedoch für die vom Gericht in Auftrag gegebene Befundaufnahme von Bedeutung sei. Der angefochtenen Entscheidung lässt sich jedoch kein Auftrag an den Sachverständigen zur Erstellung eines Gutachtens entnehmen. Entgegen der Rechtsansicht des Rekurswerbers diente die beantragte Urkundenvorlage nicht deren Sicherstellung.
Aus diesen Gründen wurde dem Rekurs nicht Folge gegeben.
Blog-Beitrag gemeinsam erstellt mit Paul Moik.