Serienschaden bei Steuerberatern

Serienschaden bei Steuerberatern

Wird durch Übermittlung eines (1) Schriftsatzes für mehrere Mandanten ein Schaden verursacht, liegt ein Serienschaden vor (mehrere Verstöße des Versicherungsnehmers, die auf derselben Ursache beruhen).

Sachverhalt

Die Klägerin (Steuerberatergesellschaft) vertrat mehrere Personen in steuerrechtlicher Hinsicht im Zusammenhang mit deren Beteiligung an einer Ferienwohnungsanlage. Die Anleger erwarben Wohnungseigentum an Appartements und verpachteten diese für touristische Zwecke an eine Betreibergesellschaft. Dies sollte zu Einkünften aus Vermietung und Verpachtung führen und den Vorsteuerabzug vom Kaufpreis ermöglichen. Mit zeitgleich erlassenen Bescheiden vom 13. Juli 2011 qualifizierte das Finanzamt die Verpachtung der Anleger als Liebhaberei, sodass der Vorsteuerabzug nicht anerkannt wurde.

Am 17. August 2011 erhoben einzelne Anleger dagegen Rechtsmittel, deren Begründung nachgereicht werden sollte. Am 24. August 2011 übermittelte die Klägerin einen Schriftsatz per E-Mail an das Finanzamt S* zu den anhängigen Verfahren ihrer Mandanten. Dieser Schriftsatz enthielt einen Nachtrag zu den erhobenen Berufungen. Der Eingang dieses Schriftsatzes beim Finanzamt konnte nicht festgestellt werden, sodass die Rechtsmittel nicht behandelt und die Verfahren mangels Eingabe eingestellt wurden.

Dadurch erlitten zwanzig von der Klägerin vertretene Anleger einen Schaden, der zwischen 25.855,24 EUR und 56.125,77 EUR lag. Die Klägerin ersetzte den geschädigten Anlegern den erlittenen Schaden von insgesamt 766.952,19 EUR. Bei ordnungsgemäßer Einbringung der Rechtsmittel wäre der Schaden nicht eingetreten.

Die Klägerin hatte eine Basisversicherung abgeschlossen und war aufgrund ihrer Mitgliedschaft bei der Kammer der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer Mitversicherter im Kammer-Exzedentenvertrag. Fraglich war gegenständlich, ob es sich um einen Serienschaden handelt: Die Klägerin begehrt Zahlung von 536.807,90 EUR aus dem Exzedenten-Haftpflichtversicherungsvertrag. Die beklagte Versicherung lehnte ab und behauptete, dass kein Serienschaden vorliegt und somit die Zahlungen aus der Basisversicherung erfolgen müssten.

Relevante Bestimmungen der AVB

VERSICHERUNGSFALL

1. Definition

2. Serienschaden

Als ein Versicherungsfall gelten auch alle Folgen

2.1 eines Verstoßes;

2.2 mehrerer auf derselben Ursache beruhende Verstöße;

2.3 eines aus mehreren Verstößen erfließenden einheitlichen Schadens;

2.4 mehrerer auf gleichartigen Ursachen beruhende Verstöße, wenn zwischen diesen Ursachen ein zeitlicher, rechtlicher, technischer oder wirtschaftlicher Zusammenhang besteht.

OGH-Entscheidung

§ 11 Abs 1 Wirtschaftstreuhandberufsgesetz (WTBG) schreibt den Wirtschaftstreuhändern den Abschluss individueller Berufshaftpflichtversicherungen vor. Darüber hinaus versichert die Kammer der Wirtschaftstreuhänder durch den Abschluss eines Exzedenten-Versicherungsvertrags (Anschlussversicherungsvertrags. Layerdeckung) Gefahren aus Pflichtverletzungen ihrer Mitglieder, die durch die individuellen Versicherungsverträge nicht gedeckt sind. Der Exzedenten-Haftpflichtversicherer tritt ein, wenn die individuelle Versicherungsleistung (Grundversicherung) ausgeschöpft ist. Die Beklagte trifft daher nur dann eine Leistungspflicht, wenn der Basisversicherer seiner Deckungspflicht gegenüber der Klägerin vollständig nachgekommen ist. Dafür ist hier zu prüfen, ob der Basisversicherer (Nebenintervenientin) die Versicherungssumme aufgrund der Serienschadenklausel berechtigterweise nur einmal ausbezahlt hat.

Im vorliegenden Fall ist der Verstoß der Klägerin im Sinn von Art 2.1 ABHV die jedem einzelnen Mandanten aufgrund des jeweiligen Bevollmächtigungsvertrags (§ 1002 ABGB; vgl 8 Ob 15/16p) geschuldete, hier jedoch unterbliebene ordnungsgemäße Übermittlung des verbesserten Schriftsatzes an das Finanzamt.

Art 2.2.1 nicht anwendbar

Der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer aus dem Adressatenkreis der Steuerberater wird die Wortfolge in Art 2.2.1 ABHV „alle Folgen eines Verstoßes“ auf den jeweils verletzten (selbständigen) Bevollmächtigungsvertrag beziehen und nicht darauf abstellen, ob Pflichten aus mehreren selbständigen Bevollmächtigungsverträgen aus – prozessual zulässigen – Erwägungen in einem Arbeitsschritt (hier: Einbringung eines Schriftsatzes) erledigt werden und es dabei zu einer Schädigung mehrerer Mandanten kommt.

Art 2.2.2 anwendbar

Art 2.2.2 ABHV setzt voraus, dass die mehreren Verstöße des Versicherungsnehmers auf derselben Ursache beruhen, also Ursachenidentität vorliegt. Das Vorliegen einer gleichen oder gleichartigen Ursache genügt also nicht. Ursachenidentität liegt nur bei einer bloßen Multiplikation der Ursache ohne einen selbständigen Umsetzungsvorgang vor (7 Ob 20/22z mwN). Kommt es also zu weiteren selbständigen Umsetzungsvorgängen, beruhen die Verstöße nicht mehr auf „derselben“ Ursache.

Wie bereits dargelegt, ist der jeweilige Verstoß der Klägerin die jedem einzelnen Mandanten geschuldete ordnungsgemäße Übermittlung des verbesserten Schriftsatzes an das Finanzamt, die jedoch unterblieben ist. Die Ursache der Verstöße liegt in der von der Klägerin gewählten Vorgangsweise, die Begründung der zuvor erhobenen Berufungen einzelner Mandanten in einem Schriftsatz zusammenzufassen und in einem Übermittlungsvorgang per E-Mail an das zuständige Finanzamt zu übermitteln. Dies stellt nach der Verkehrsauffassung einen einzigen (einheitlichen) Umsetzungsvorgang dar, sodass ein Serienschaden nach Art 2.2.2 ABHV vorliegt.

zurück