Teil 2: Unterliegt ein Anspruch nach § 1168 ABGB der Umsatzsteuer?
Fraglich ist, ob der Anspruch eines Werkunternehmers nach Abbestellung des Werkes gemäß § 1168 ABGB umsatzsteuerpflichtig ist. In den Umsatzsteuer-Richtlinie des BMF und im Schrifttum wird die Ansicht vertreten, dass dieser Entgeltanspruch mangels Gegenleistung nicht der Umsatzsteuer unterliegt. Ob dies auch der europäischen Rechtsprechung entspricht, will der OGH durch ein Vorabentscheidungsverfahren klären.
Es handelt sich hierbei um eine Folgeentscheidung. Die Revision der Beklagten Partei über die Frage des Vertragsabschlusses wurde mit Beschluss vom 25.09.2023 zurückgewiesen. Die Entscheidungsbesprechung findet sich hier.
Im gegenständlichen Verfahren schlossen die Streitteile einen Werkvertrag ab. Die Klägerin als Werkunternehmerin sollte bei einem Bauvorhaben Trockenbauarbeiten durchführen. Im vereinbarten Werklohn war eine 20%ige Umsatzsteuer enthalten.
Nach Arbeitsbeginn teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie wolle die Leistung der Klägerin nicht mehr in Anspruch nehmen. Daraufhin legte die Klägerin sowohl für die bis Vertragsbeendigung als auch für ihren vertraglichen Anspruch wegen ungerechtfertigter Abbestellung des Werkes eine Schlussrechnung und stützte sich dabei auf § 1168 ABGB. In ihrer Schlussrechnung war eine Umsatzsteuer von 20% enthalten. Jene Aufwendungen, die sich die Klägerin durch die Abbestellung ersparte, zog sie von ihrem Werklohn ab. Die Beklagte bestritt das Zustandekommen des Werkvertrages und bestritt das Klagebegehren.
Erst- und Berufungsgericht
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und sprach der Klägerin ohne weitere Begründung auch die im Klagsbetrag enthaltene Umsatzsteuer zu.
Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil ab und wies das Klagebegehren im Umfang der darin enthaltenen Umsatzsteuer ab. Das Berufungsgericht war der Ansicht, dass das Entgelt nach § 1168 ABGB erst dann fällig werde, wenn die Ausführung des Werkes endgültig unterbleibe. Durch die Abbestellung erlösche aber auch die Leistungspflicht des Werkunternehmers ex nunc. Der Anspruch nach § 1168 ABGB bedarf somit keiner Gegenleistung mehr. Mangels Leistungsaustausches unterliege dieses Entgelt auch nicht der Umsatzsteuer.
Dagegen brachte die Klägerin Revision ein und beantragte im Wesentlichen die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Ihrer Ansicht nach stehe ihr auch bei einem Anspruch nach § 1168 ABGB die Umsatzsteuer in voller Höhe zu.
Hierzu führte der Oberste Gerichtshof aus:
Grundsätzlich unterliegen Dienstleistungen gemäß Art 2 Abs 1c der Richtlinie 2006/112/EG der Mehrwertsteuer. Als Dienstleistung gilt jeder Umsatz, der keine Lieferung von Gegenständen beinhaltet. Als Steuerbemessungsgrundlage gilt alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferant oder Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerber oder einen Dritten erhält oder erhalten soll.
Bei einer ungerechtfertigten Abbestellung eines Werkes gebührt dem Werkunternehmer nach § 1168 ABGB grundsätzlich das volle Entgelt. Dabei handelt es sich nicht um einen Schadenersatzanspruch. Zur Frage, ob dieser Entgeltanspruch auch der Umsatzsteuer unterliegt, existiert allerdings keine höchstgerichtliche Rechtsprechung.
Im Schrifttum wird überwiegend die Ansicht vertreten, dass die bloße Leistungsbereitschaft grundsätzlich nicht umsatzsteuerbar ist. Auch in den Richtlinien der Finanzbehörden ist vorgesehen, dass Zahlungen aufgrund eines vorzeitigen Rücktritts vom Vertrag nicht umsatzsteuerbar sind.
Allerdings bestehen Zweifel, ob die herrschende österreichische Ansicht dem Unionsrecht, insbesondere der jüngeren Rechtsprechung des EuGH entspricht. In den verbundenen Rechtssachen Air France-KLM, ehemals Air France (C‑250/14) und Hop!-Brit Air SAS, ehemals Brit Air (C‑289/14) erkannte der EuGH, dass das Ausstellen von Flugscheinen durch eine Fluggesellschaft auch dann mehrwertsteuerpflichtig ist, wenn die Fluggäste die ausgegebenen Flugscheine nicht benutzt haben und für diese auch keine Erstattung erhalten können.
Auch in der Rechtsache MEO – Serviços de Comunicações e Multimédia SA (C‑295/17) erkannte der EuGH, dass im Falle einer vorzeitigen Beendigung eines Dienstleistungsvertrages der Betrag, der dem verbleibenden Entgelt für die restliche Laufzeit entspricht, als Gegenleistung anzusehen ist. Als solche unterliegt sie damit der Mehrwertsteuer. Auch in der Rechtsache Vodafone Portugal – Comunicações Pessoais SA (C-43/19) ging der EuGH davon aus, dass Beträge, die aufgrund einer vorzeitigen Vertragsbeendigung ausgezahlt wurden, der Mehrwertsteuer unterliegen. In all diesen Entscheidungen war ein Geldbetrag für eine ursprünglich vereinbarte Leistung geschuldet, auch wenn die Leistung selbst nicht in Anspruch genommen wurde.
Demnach könnte argumentiert werden, dass auch das Entgelt nach § 1168 ABGB mehrwertsteuerpflichtig ist. Allerdings schuldet die klagende Werkunternehmerin zu dem Zeitpunkt der Abbestellung die Werkleistung nicht mehr.
Da sowohl Argumente für als auch gegen die Rechtsansicht vorliegen, dass das Entgelt nach § 1168 Abs 1 Satz 1 ABGB ein umsatzsteuerbares Entgelt darstellt, legte der OGH diese für die Praxis äußerst relevante Frage zur Vorabentscheidung (Auslegung) dem EuGH vor. Erst nach der Entscheidung des EuGH wird das Verfahren in Österreich fortgesetzt.
Praxistipp: Da das Entgelt nach § 1168 ABGB – jedenfalls bislang – der kurzen Verjährungsfrist von drei Jahren unterliegt, ist es derzeit ratsam, bei gerichtlicher Geltendmachung die Umsatzsteuer trotz Kostenrisiko dennoch einzuklagen oder – wenn noch ausreichend Verjährungsfrist offen ist – zunächst den Nettobetrag einzuklagen und ggf. vor Ablauf der Verjährungsfrist das Klagebegehren um die Umsatzsteuer auszudehnen. Dies gilt bis der EuGH die Rechtsfrage endgültig entschieden hat.
Relevant ist diese Frage auch in Zusammenhang mit bereits gelegten Schlussrechnungen. Sollten diese – möglicherweise fälschlicherweise – mit ausgewiesener Umsatzsteuer gelegt worden sein, wird diese Umsatzsteuer auch kraft Rechnungslegung geschuldet (§ 11 Abs 14 UStG). Demnach sind diese Rechnungen auch entsprechend zu berichtigen. Voraussetzung hierfür ist die nachweisliche Übermittlung der Berichtigung an den Empfänger. Eine Frist hierfür wird im UstG nicht normiert.
Das Problem der Rechnungslegung stellt sich bei Generalunternehmern vordergründig aufgrund des Reverse Charge Systems gemäß § 19 Abs 1a UstG nicht, weil diese von den Subunternehmern USt- frei Regelungen erhalten (dies gilt analog auch für alle Unternehmer in der Subunternehmerkette die selbst Auftraggeber sind).
Allerdings wird das Thema für die Unternehmer dann relevant, wenn der EuGH eine Umsatzsteuerpflicht annehmen sollte, weil diesfalls (wenn das Unternehmen den USt-Richtlinien gefolgt ist) zu Unrecht keine Umsatzsteuer abgeführt wurde.