COVID-19 und Risikoausschluss Unternehmer
Strebt der VN (Unternehmer) die Geltendmachung von Ansprüchen gegen seinen Betriebsunterberechungsversicherer wegen des Betretungsverbotes (VO) aufgrund von COVID-19 an, fällt dies unter den Ausnahmesituationsausschluss.
Sachverhalt
Die Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau ordnete mit Verordnung vom 13. 3. 2020 (betreffend Schließung des Seilbahnbetriebs und von Beherbergungsbetrieben zur Eindämmung der Ausbreitung von „SARS-CoV-2“), an, dass der Betrieb von Seilbahnen eingestellt und Beherbergungsbetriebe geschlossen werden. Die Verordnung wurde mit der weiteren Verordnung der Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau vom 28. 3. 2020 aufgehoben. Das mit 16. 3. 2020 in Kraft getretene Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz) ermöglichte dann behördliche Anordnungen, mit denen das Betreten von (bestimmten) Betriebsstätten oder das Betreten von bestimmten Orten verboten werden konnte.
Die Klägerin betreibt ein Hotel in Obertauern. Aufgrund der behördlich angeordneten „Betriebsschließungen“ war der Beherbergungsbetrieb der Klägerin vom 16. 3. 2020 bis zum Saisonende (19. 4. 2020) geschlossen. Sie begehrt von ihrem Rechtsschutzversicherer Deckung für die Geltendmachung von Ansprüchen gegen ihren Betriebsunterberechungsversicherer (zum Klagszeitpunkt war noch nicht bekannt, dass die Verfahren gegen die Betriebsunterbrechungsversicherer wegen COVID-19-Schließungen nicht erfolgreich sein werden – vgl 7 Ob 214/20a).
Relevante Klauseln der ARB
Artikel 7 Was ist vom Versicherungsschutz ausgeschlossen?
1. Kein Versicherungsschutz besteht für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen
1.4. in unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang mit hoheitsrechtlichen Anordnungen, die aufgrund einer Ausnahmesituation an eine Personenmehrheit gerichtet sind.
OGH-Entscheidung
Zur Klärung, ob dieser Risikoausschluss zum Tragen kommt, ist das Vorliegen mehrerer Voraussetzungen anhand von Begriffen zu prüfen, die in der Rechtsprechung teilweise noch nicht Beurteilungsgegenstand waren.
- „hoheitsrechtliche Anordnungen“, die „an eine Personenmehrheit gerichtet sind“: Jene Verordnungen, die die „verkehrsbeschränkenden“ Maßnahmen anordneten, waren nicht etwa eine gegen ein einzelnes Unternehmen gerichtete, individuelle Betriebsschließung, sondern richteten sich – sei es bezirks- oder landesweit – grundsätzlich an die gesamte dortige Bevölkerung. Am Vorliegen hoheitsrechtlichen Anordnungen, die an eine Personenmehrheit gerichtet waren, kann daher kein Zweifel bestehen.
- „aufgrund einer Ausnahmesituation“: Die WHO hat die COVID-19-Viruserkrankung zur Pandemie erklärt. Es handelt sich um eine weltweite, praktisch alle Lebensbereiche erfassende, inzwischen mehr als ein Jahr währende, weltweite Krisensituation, die inzwischen eine enorme Zahl an Toten und Erkrankten gefordert und massive soziale sowie wirtschaftliche Schäden verursacht hat. Die Qualität dieser Pandemie als „Ausnahmesituation“ im Sinn des in Rede stehenden Risikoausschlusses ist nicht nur nicht ernsthaft zu bezweifeln, sondern geradezu evident.
- Wahrnehmung rechtlicher Interessen (der Rechtsstreit) in „unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang“ zur betreffenden hoheitsrechtlichen Anordnung: Soweit zunächst als erste Annäherung zur Eingrenzung des Begriffsmerkmals „unmittelbarer oder mittelbarer Zusammenhang“ eine (reine) Kausalverknüpfung im Sinn der conditio sine qua non zu fordern ist, liegt diese zweifellos vor. Die behördlichen Betretungsverbote waren nach der eigenen Darstellung der Klägerin der Grund für die Schließung ihres Betriebs. Die weitgehenden Betriebsschließungen im touristischen Bereich stellen die geradezu typische Folgewirkung der behördlichen Betretungsverbote dar und stellen sich diese als ein von den Gebietskörperschaften bewusst eingesetztes, zentrales Mittel der Pandemiebekämpfung dar. Ein jedenfalls „mittelbarer“ Zusammenhang zwischen der angestrebten Rechtsverfolgung gegenüber dem Betriebsunterbrechungsversicherer und jenen behördlichen Anordnungen, die zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie an die Allgemeinheit gerichtete, ein bezirks- bzw landesweites Betretungsverbot für Beherbergungsbetriebe anordnen, kann bei dieser Sachlage nicht ernstlich bezweifelt werden.
Der Risikoausschluss des Art 7.1.4 ARB 2006 ist auch nicht gröblich benachteiligend im Sinn des § 879 Abs 3 ABGB. Bei der Beurteilung, ob eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder in einem Vertragsformblatt enthaltene Bestimmung eine „gröbliche“ Benachteiligung eines Vertragspartners bewirkt, hat sich der Rechtsanwender am dispositiven Recht als dem Leitbild eines ausgewogenen und gerechten Interessensausgleichs zu orientieren. Zum einen besteht keine einschlägige dispositive Regelung, an der man sich im fraglichen Zusammenhang orientieren könnte. Zum anderen bezweckt der Ausschluss, keine Deckung für besonders schwer kalkulierbare, weil unabsehbare Risken zu gewähren, die sich im Gefolge eines außergewöhnlichen Ereignisses verwirklichen, das überdies behördliche Maßnahmen gegen eine größere Anzahl von Personen erfordert. Ein so gestalteter Ausschluss entspricht auch den Interessen der Versicherungsnehmer nach zuverlässiger Tarifkalkulation.