Verstoßzeitpunkt in der Rechtsschutzversicherung bei Unterlassung
Wirft der VN dem Prozessgegner, seinem ehemaligen Rechtsvertreter, unterlassene Aufklärung über die unzureichende Rechtsschutzversicherung vor, ist der maßgebliche Verstoß gegen Rechtspflichten (Art 23 ARB) und somit der Versicherungsfall im Zeitpunkt der damaligen Klagseinbringung eingetreten.
Zwischen den Streitteilen besteht seit 31. 1. 2012 ein Firmen-Rechtsschutzversicherungsvertrag, in dem auch privatrechtliche Ansprüche versichert sind.
Relevante Bestimmungen der ARB
Artikel 2
Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten?
- In den übrigen Fällen – insbesondere auch für die Geltendmachung eines reinen Vermögensschadens (Artikel 17 Pkt 2.1, Artikel 18 Pkt 2.1, Artikel 19 Pkt 2.1) sowie für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen wegen reiner Vermögensschäden (Artikel 23 Pkt 2.1 und Art 24 Pkt 2.1.1) – gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften; der Versicherungsfall gilt in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem eine der genannten Personen begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. Bei mehreren Verstößen ist der erste, adäquat ursächliche Verstoß maßgeblich, wobei Verstöße, die länger als ein Jahr vor Versicherungsbeginn zurückliegen, für die Feststellung des Versicherungsfalles außer Betracht bleiben.
Sachverhalt
Der VN erlitt bei einem Verkehrsunfall am 13. 8. 2003 Verletzungen. Mit Rechtsschutzdeckung des für diesen Versicherungsfall bestehenden Rechtsschutzversicherers machte er in mehreren Prozessen aus dem Unfall resultierende Schadenersatzansprüche gegen den Unfallgegner/dessen Haftpflichtversicherer geltend.
Nunmehr beabsichtigt er die klageweise Inanspruchnahme seiner in einem solchen Verfahren tätigen Rechtsvertretung auf Schadenersatz. Diese habe ihn im Zusammenhang mit der am 13. 8. 2013 eingebrachten Klage nicht über die unzureichende Rechtsschutzversicherungssumme aufgeklärt, überhöhte Beträge eingeklagt und keine notwendigen Klagseinschränkungen vorgenommen. Dadurch sei ihm ein Schaden von 32.120,37 EUR an dem Prozessgegner zu ersetzenden Prozesskosten entstanden.
OGH-Entscheidung
Im Revisionsverfahren ist nur mehr der Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls strittig
Ein Verstoß (Versicherungsfall) im Sinn des Art 2.3 ARB ist ein tatsächlich objektiv feststellbarer Vorgang, der immer dann, wenn er auch wirklich vorliegt oder ernsthaft behauptet wird, den Keim eines Rechtskonflikts in sich trägt, der zur Aufwendung von Rechtskosten führen kann. Es kommt weder auf den Zeitpunkt an, zu dem die Beteiligten von dem Verstoß Kenntnis erlangten, noch darauf, wann aufgrund des Verstoßes Ansprüche geltend gemacht oder abgewehrt werden (RS0114001). Bei mehreren (gleichartigen) Verstößen ist auf den ersten abzustellen (RS0114209).
Die Bestimmung des Zeitpunkts des Versicherungsfalls im Rahmen der Rechtsschutzdeckung für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen soll vermeiden, dass die Rechtsschutzversicherung mit Kosten solcher Rechtskonflikte belastet wird, die bei Abschluss des Versicherungsvertrags bereits die „erste Stufe der konkreten Gefahrenverwirklichung“ erreicht haben, also gewissermaßen „vorprogrammiert“ sind (7 Ob 193/18k mwN).
Die Vorinstanzen vertraten die Rechtsansicht, dass im Hinblick auf die beabsichtigte Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen im Umfang des Prozesskostenanspruchs des Prozessgegners des Klägers die vermisste Aufklärung spätestens zur Klagseinbringung (13. 8. 2013) hätte erfolgen müssen. Unstrittig hat der Versicherungsschutz unter Berücksichtigung der Wartefrist des Art 23.4 ARB am 30. 4. 2012 begonnen. Die Unterlassung der entsprechenden Aufklärung und der Verstoß gegen Rechtspflichten der Rechtsvertretung des Klägers sei damit innerhalb der Vertragslaufzeit erfolgt. Diese Beurteilung ist nicht zu beanstanden.
Anmerkung
Bei gegenständlichem Fall handelt es sich um die Geltendmachung eines reinen Vermögensschadens. Im Unterschied zur Geltendmachung eines Personen- oder Sachschadens, wo das Ereignisprinzip gilt, kommt bei der Geltendmachung eines reinen Vermögensschadens das Verstoßprinzip zur Anwendung. Interessant ist dieser Fall deshalb, weil es um die zeitliche Einordnung des Versicherungsfalles bei einer Unterlassung des Gegners geht. (Siehe auch versdb 2022, 3 – versdb.com)